Eine Woche nachdem das italienische Parlament gegen alle Urteile des Verfassungsgerichtes das Medienrecht zugunsten von Silvio Berlusconis Medienunternehmen geändert hat, ist Lucia Annunziata, die Präsidentin der staatlichen Rundfunkgesellschaft RAI zurückgetreten. Während das Europaparlament noch Ende April die außerordentlich starke Medienkonzentration in Italien rügte, besitzt Berlusconi nun mehr Medienmacht als je zuvor.

Im vergangenen Dezember hatte sich der italienische Staatspräsident Ciampi geweigert, ein neues Mediengesetz zu unterschreiben, das Berlusconi weiterhin den Betrieb seiner terrestrischen Programme Canale 5, Italia Uno und Rete 4 erlauben sollte (siehe Artikel Berlusconi bedroht Medienvielfalt in Italien). Doch erst half sich der Ministerpräsident und mächtigste Medienunternehmer Italiens, Silvio Berlusconi mit einem Dekret und dann mit der erneuten Vorlage des Gesetzeswerkes im Parlament, wo seine Mitte-Rechts-Koalition das umstrittene „Legge Gasparri“ jetzt endgültig durchsetzte.

Eigentlich darf in Italien seit 1997 niemand mehr als zwei von elf nationalen terrestrischen TV-Programmen kontrollieren und mehr als 30 Prozent der gesamten TV-Werbeeinnahmen erzielen. Trotz aller Reklamationen der Medienaufsicht setzte sich Berlusconi mit zahlreichen Ausnahmegenehmigungen immer wieder über geltende Regelungen hinweg. Auch ein Beschluss des italienischen Verfassungsgerichtes, dass Rete 4 spätestens am 31. Dezember 2003 die terrestrische Ausstrahlung einstellen müsse, beeindruckte Berlusconi nicht. Er ließ einfach die Gesetze ändern. Das neue Regelwerk trug den Namen „Legge Gasparri“, weil es offiziell vom Kommunikationsminister Maurizio Gasparri (Alleanza Nazionale) stammte.

Ü Umstrittenes „Legge Gasparri“

Das zunächst an Ciampi gescheiterte und nun doch durchgesetzte Mediengesetz legt fest, dass künftig Medienkonzentrationsgrenzen nicht mehr für einzelne Medienarten ausschlaggebend sind, sondern der Medienmarkt insgesamt betrachtet werden muss. Dabei darf zwar kein Unternehmen mehr als 20 Prozent des gesamten Medienmarktes kontrollieren, allerdings wurde dieser Markt sehr weit gefasst und  beinhaltet nun sogar Postwurfsendungen, Kino-Einnahmen oder Online-Umsätze. Die Liberalisierung lässt eine Expansion von Berlusconis Medienholding Mediaset um bis zu fünfzig Prozent zu.

Berlusconis Unternehmen dominieren den italienischen Fernsehmarkt inzwischen sowohl bei den Werbeeinnahmen als auch bei den Zuschauermarktanteilen. Die Holding Fininvest, zu der auch Mediaset gehört, meldete für 2003 einen Reingewinn von 240 Mio. Euro, wovon 145 Mio. Euro an die Familie Berlusconis ausgeschüttet wurden. Der Betriebsgewinn stieg bei einem Umsatz von 4,8 Mrd. Euro auf 851 Mio. Euro. Mediaset teilte für das erste Quartal 2004 mit, der Gewinn vor Steuern sei gegenüber dem Vorjahresquartal um 43,4 Prozent auf 274,1 Mio. Euro gesteigert worden. Die Einnahmen hätten um 9,5 Prozent auf 850,7 Mio. Euro zugenommen. Im italienischen Kerngeschäft seien die Einnahmen um 6,7 Prozent auf 677,6 Mio. Euro ausgeweitet worden, wozu ein Plus von 8,1 Prozent bei den Werbeeinnahmen beigetragen habe. In den vergangenen fünf Jahren erzielte Mediaset insgesamt Nettogewinne von 1,74 Milliarden Euro, während die RAI in diesem Zeitraum nur auf 145 Millionen Euro kam.

42003

Mediaset

RAI

Umsatz

3,01 Mrd. €

2,79 Mrd. €

Netto-Gewinn

370 Mio. €

80 Mio. €

Haupteinnahmequelle

Werbung (95,4%)

Gebühren (51,4%)

Ü Entmachtung bei der RAI

Wer im italienischen Staatsfernsehen RAI (9700 Angestellte und 30.000 freie Mitarbeiter) ein öffentlich-rechtliches Korrektiv zu Berlusconis Mediaset-Kanälen vermutet, der irrt. Kontrolliert wird die RAI durch einen fünfköpfigen Verwaltungsrat, dessen Mitglieder durch die Präsidenten von Senat und Abgeordnetenhaus bestimmt werden. Seit dem Frühjahr 2003 gehörten dem Gremium vier Vertreter der Regierung und eine Vertreterin der Opposition an. Die starke Stellung der Regierungsdelegierten sollte dadurch gemildert werden, dass sie weder Parteibuch noch direkte Regierungskontakte haben durften. Die Opposition hingegen stellte mit der streitbaren Journalistin Lucia Annunziata die Vorsitzende des Verwaltungsrates. Nach dem Rücktritt von Annunziata herrschten die vier übrigen konservativen Gremienmitglieder noch bis Ende des Jahres uneingeschränkt.

RAI-Präsidentin Annunziata hatte bereits vor einem halben Jahr mit Rücktritt gedroht. Als dem Verwaltungsrat jetzt vom Generaldirektor und Berlusconi-Intimus Flavia Cattaneo ein Personalpaket vorgelegt wurde, das nur noch abgenickt werden sollte, zog Annunziata die Konsequenzen. Die geplanten Stellenbesetzungen kämen der „Besatzung des Senders“ durch die Mitte-Rechts-Regierung gleich, geißelte die Verwaltungsratchefin Berlusconis jüngsten Versuch, die RAI auf Regierungskurs zu bringen. „Der Verwaltungsrat hat sich selbst in einen Briefkasten verwandelt, in dem nur noch anderswo getroffene Entscheidungen abgezeichnet werden“, kritisierte die scheidende Präsidentin.

Ü Kritik vom Europa-Parlament

In der Vergangenheit waren immer wieder Fälle bekannt geworden, in denen Berlusconi persönlich Direktiven an RAI-Mitarbeiter gegeben hatte. Annunziatas Einwände dagegen blieben erfolglos. An Berlusconi vorbei scheint im italienischen Fernsehen nun nichts mehr zu gehen, gegen ihn schon gar nicht. RAI und Mediaset zusammen haben einen Zuschauermarktanteil von etwa 90 Prozent und teilen sich bei den TV-Werbeeinnahmen sogar 96 Prozent aller Einnahmen. Hinzu kommt, dass Berlusconis Familie sowohl Italiens größte Filmverleihfirma Medusa Film als auch der Buchverlag Mondadori kontrolliert. Das Europäische Parlament rügte Ende April, Berlusconis beherrschende Stellung führe „zu einer einzigartigen Kombination von wirtschaftlicher, politischer und medialer Macht“. Die konservative Fraktion der Europäischen Volksparteien (EVP), der auch die Abgeordneten von Berlusconis Forza Italia angehören, enthielt sich bei der Abstimmung.