Von Dr. Matthias Kurp, 08.04.2003

 

Das Münchener Landgricht hat am 8. April EM.TV-Gründer Thomas Haffa zu 1,2 Millionen Euro Geldstrafe verurteilt. Sein Bruder Florian Haffa muss als ehemaliger EM.TV-Finanzvorstand 240.000 Euro Strafe zahlen. Richterin Huberta Knöringer urteilte, beide hätten gewusst, dass veröffentlichte Geschäftszahlen falsch gewesen seien.

 

§ 400 Aktiengesetz stellt falsche Angaben von Vorstand und Aufsichtsrat über den Vermögensstand der Gesellschaft unter Strafe. Und genau in diesem Punkt, so das Urteil, sollen sich die Haffa-Brüder zumindest in einem Fall strafbar gemacht haben: Im August 2000 hatte EM.TV eine Verdreifachung des Halbjahresumsatzes auf 604 Millionen Mark (ca. 309 Mio. Euro) per Ad-hoc-Meldung angekündigt. Tatsächlich aber sank der Umsatz im entsprechenden Halbjahr um mehr als 200 Millionen Mark (ca. 102 Mio. Euro). Die positive Bilanzgestaltung war vor allem durch die Integration von Geschäften in das Zahlenwerk erfolgt, die noch gar nicht abgeschlossen waren. Viele Daten seien „frei erfunden oder zurückdatiert worden“, sagte Staatsanwalt Peter Noll. Die Staatsanwaltschaft München I hatte am 6. November 2002 Anklage wegen des Verdachts auf Kursbetrug erhoben (Aktenzeichen; 4KLs 305 Js 52373/00).

 

Richterin Knöringer folgte der Argumentation der Staatsanwaltschaft im Wesentlichen, verzichtete aber auf die von der Staatsanwaltschaft geforderten acht Monate Haftstrafe, weil die Angeklagten nicht vorbestraft waren und sich vor Gericht kooperativ gezeigt hätten. Während das Gericht im März noch angedeutet hatte, bei der Veröffentlichung falscher Zahlen habe es sich nur um eine Ordnungswidrigkeit gehandelt, bewertete die Richterin Haffas Vorgehen nun doch als Straftat. Thomas Haffa quittierte das Urteil mit einem „Ich bin fassungslos!“ Während des Prozesses hatte er immer wieder beteuert, stets „nach bestem Wissen und Gewissen“ gehandelt zu haben. Deshalb hatte sein Verteidiger Rainer Hamm Freispruch gefordert. EM.TV, so argumentierte er, habe die falsche Ad-hoc-Meldung schließlich später selbst korrigiert. Von einem Vorsatz könne also nicht ausgegangen werden. Nach der Urteilsverkündung kündigten die Haffa-Brüder an, in die Revision gehen zu wollen. Es hätte für die Haffas aber auch schlimmer kommen können: Immerhin lässt § 500 des Aktiengesetzes auch Haftstrafen von bis zu drei Jahren zu.

 

Ü Prozess mit Präzedenzcharakter

 

Der fünfmonatige Prozess, in dem unter anderem Leo Kirch als Zeuge auftrat, hat Präzedenzcharakter. Schließlich wurden erstmals in Deutschland Vorstände wegen falscher Darstellung von Unternehmenszahlen verurteilt. Betroffene Anleger kamen zwar in dem Prozess nicht zu Wort. Sollte das Münchener Urteil jedoch auch von höheren Instanzen als rechtskräftig beurteilt werden, steigen die Chancen von EM.TV-Aktionären, in Zivilprozessen erfolgreich Schadenersatz einzuklagen. Mitte Oktober hatte das Landgericht München 1 die Klage von 59 Anlegern auf Schadenersatz in Höhe von 1,7 Millionen Mark noch als unbegründet abgewiesen. Die Betroffenen hatten wegen unrichtiger Darstellung der Unternehmenssituation geklagt. Der Gesamtverlust der Kleinverleger wird auf 3,2 Milliarden Mark geschätzt. Die zivilrechtlichen Forderungen haben inzwischen längst die Millionen-Grenze überschritten.

 

Jetzt hoffen viele EM.-TV-Aktionäre auf ein neues Schadenersatz-Verfahren. Viele von ihnen hatten in Haffas Unternehmen investiert, weil sie seinen Verheißungen vom großen Geld beinahe blind gefolgt waren. Der Aktienwert des einstigen Börsenstars war am Neuen Markt Mitte Februar 2000 auf etwa 120 Euro gestiegen. Wer beim Börsengang von EM.TV 5000 Mark investiert hatte, war plötzlich Millionär. Inzwischen aber liegt der Kurs nur noch bei etwa 80 Cent. Millionen von Aktionären machten sich noch Hoffnungen auf satte Dividenden und Kursgewinne, als Mitte 2000 die Substanz des Unternehmens nach einer teuren, aber erfolglosen Einkaufstour (Formel 1, Muppets etc.) aufgezehrt war.

 

Ü Vorsatz schwierig nachzuweisen

 

Die rechtliche Bewertung des Falles (von) EM-TV ist umstritten: § 15 Wertpapierhandelsgesetz regelt Ad-hoc-Vorschriften, schließt aber im Absatz 6 eine Schadenersatzpflicht bei falschen Angaben aus. § 88 Börsengesetz bestraft zwar unrichtige Angaben mit dem Ziel der Kursmanipulation (alte Fassung) bzw. die zur Kursmanipulation geführt haben (neue Fassung). Dies aber setzt den Nachweis eines Vorsatzes voraus, der im vorliegenden Fall kaum möglich sein dürfte. Ein solcher Nachweis des Vorsatzes ist auch Voraussetzung für Kapitalanlagebetrug im Sinne § 264 Strafgesetzbuch, aus dem sich ebenfalls ein Schadenersatz ableiten ließe. Durch das seit 1. Juli 2002 geltende Vierte Finanzmarktförderungsgesetz kann Kursbetrug mit bis zu fünf Jahren Haft nur bestraft werden, wenn der Täter durch falsche Angaben nicht nur versucht hat, den Aktienkurs zu beeinflussen, sondern auch tatsächlich auf ihn eingewirkt hat. Im Fall (von) EM.TV aber brach der Kurs erst nach Bekanntgabe der korrigierten Zahlen im Dezember 2000 deutlich ein.

 

Thomas und Florian Haffa hielten stets auch selbst große Anteile an EM.TV. „Da hat man natürlich ein ganz vitales Interesse daran, dass die Aktien einen hohen Kurs haben“, urteilte die Richterin. Florian Haffa hatte unter anderem ein Darlehen über etwa 15 Millionen Euro mit EM.TV-Aktien besichert. Thomas Haffa hatte erst im Februar 2002 für geschätzte 100 Millionen Euro 24,8 Prozent der Anteile (36,16 Millionen Aktien) an Werner E. Klatten verkauft und damit seinen Anteil als ehemaliger Hauptaktionär auf 17,5 Prozent verringert. Auf die Bemerkung von Huberta Knöringer, Thomas Haffa sei wohl nicht mehr Milliardär, soll der Betroffene mit eifrigem Nicken reagiert haben. Inzwischen betreibt der Börsenliebling von einst in München eine Charter-Fluggesellschaft. Sein Bruder Florian gründete eine Beteiligungsfirma.

 

Textfeld: Ü Mehr Informationen zum Fall (von) EM.TV finden Sie im Artikel EM.TV-Chronik. Vom Shooting-Star zum Strafprozess.