Sportjournalisten als Marionetten des Profits
Wenn das Entertainment den Journalismus
gefährdet ...
Von Dr. Matthias Kurp, 16.08.2001
Sport-Berichterstattung
hat mit Journalismus immer weniger zu tun. Zwischen Profis und Profit mutieren Journalisten
zu Stichwortgebern.
Dass
Sportjournalisten sich mehr als Entertainer denn als kritische Berichterstatter
fühlen, ist seit Jahren bekannt. Diesen Befund haben
Kommunikationswissenschaftler und Journalismus-Forscher immer wieder bestätigt
gefunden. Als gelte es, möglichst viel vom Ruhm der Stars abzubekommen, nähern
sich viele Journalisten den Heroen des Sports in devot gebückter Haltung. Da
reicht es beim kritischen Fragen gerade mal zu einem „Hätten Sie damit
gerechnet?“ oder „Was haben Sie dabei gefühlt?“. Der Journalist als
Stichwortgeber! Bloß keine Kritik am Star, auf dessen geneigte O-Töne man auch
in Zukunft nicht verzichten will. Da fragt etwa der DSF-Reporter Schalkes
Trainer Hub Stevens nach zwei verpatzten Eröffnungsspielen in der nagelneuen
Schalke-Arena nicht nach Gründen für das schlechte Abschneiden beim eigenen
Blitz-Turnier, sondern traut sich allenfalls zu einer investigativen Frage nach
dem Gefühl, in so einer Arena spielen zu dürfen – bravo!
Waren Sportjournalisten von jeher auch nie die
mutigsten Rechercheure und Interviewer, so beteuerten sie doch stets, man mühe
sich um Unabhängigkeit und Fairness. Doch zumindest mit ersterem ist es nun
endgültig vorbei. Der Trend ist nicht zu übersehen: Bei den quotenträchtigen
Sportarten werden allüberall faule Kompromisse geschlossen. Da ist das Thema
Doping in Bezug auf das Telekom-Team bei der ARD-Berichterstattung verpönt,
weil die ARD selbst zu den
Sponsoren des Teams gehört. Da werden schlechte Fußballspiele schön geredet, um
den Zuschauer vom Wegzappen abzuhalten. Selbst in scheinbar aussichtsloser Lage
orakeln enthusiasmierte Sportreporter die Chancen deutscher Teams – egal ob
beim Hand- oder Fußball, bei der Leichtathletik oder im Radsport – ins
Meisterhafte, auch wenn der Sturz ins Bodenlose droht.
Ü
Profit-Interessen wichtiger als öffentliches Interesse
DFB-Präsident Meyer-Vorfelder scheut sich inzwischen
nicht mehr, auch öffentlich für den Bundesliga-TV-Monopolisten Kirch Partei zu
ergreifen. Ohne Scheu und Scham argumentieren Bundesliga-Clubs, entscheidend
für die Rechte-Vergabe und die Platzierung von TV-Sendungen wie ran bei SAT.1 dürfe allein der
Profit der Kirch-Gruppe
sein. Da wird Profit-Interesse vor öffentliches Interesse gestellt. Das einst
öffentliche Gut Fußball wird halb-öffentlich und immer seltener
öffentlich-rechtlich. Wer die TV-Rechte erwirbt, darf den Sport als Eigentum
behandeln. So kommt außer Premiere,
SAT.1 und RTL fast kein TV-Programm mehr an
originäre O-Töne aus den Fußball-Arenen von Bundesliga und Champions-League.
Selbst SAT.1 verzichtet oft auf eigene Fragen und strahlt einfach Interviews
aus, die eigentlich von Premiere stammen. Da signalisiert das Premiere-Logo auf
dem Windschutz der Mikrofone dem Zuschauer unübersehbar, wer in Sachen
Berichterstattung der Herr in den Stadien ist. Von einer Pluralität des
Angebots kann keine Rede mehr sein.
Unverhohlen drohen inzwischen viele Veranstalter von
Sportereignissen potenziell kritischen Berichterstattern öffentlich mit
Sanktionen. So entschieden sich etwa die Fußballclubs Bayern München und 1860
München die regionale TV-Sportsendung „Blickpunkt Sport“ am 6. August zu
boykottieren, um so Druck auf die ARD-Verhandlungen mit der Kirch-Gruppe über
die Bundesliga-Kurzberichterstattung auszuüben. Bayern-Pressesprecher Markus
Hörwick argumentierte zynisch, ein Sender wie der Bayerische Rundfunk, der
viel weniger für die TV-Berichte zahle als Premiere oder SAT.1, könne von den
Clubs nicht mehr die gleichen Leistungen erwarten. Sonst als willkommene
PR-Rampe für die Münchener Fußball-Clubs genutzt, sah sich „Blickpunkt Sport“
plötzlich eines Schnorrer-Vorwurfs ausgesetzt. Als sich Kirch-Gruppe und ARD
eine Woche später auf eine neue Tagesschau-Regelung geeinigt hatten, saß prompt
Bayern-Liebling Mehmet Scholl im BR-Studio und tat, als sei nichts geschehen.
Ü
Meinungsvielfalt als altmodisches Relikt
Die neue Regelung, nach der die Tagesschau der
Kirch-Gruppe jeweils montags mitteilen muss, Ausschnitte aus welchem Toppspiel
am kommenden Samstag in der Tagesschau gezeigt werden sollen, lässt zwar
zwölfmal pro Saison Korrekturen zu, bedeutet aber dennoch den Verzicht auf
einen Teil der Rundfunkfreiheit. Dass zusätzlich an sechs Spieltagen auch das
zweite Topspiel von der ARD ausgesucht werden darf, hält der ARD-Vorsitzende
Fritz Pleitgen für eine „vernünftige Lösung“ und scheut vorerst einen Gang vors
Bundesverfassungsgericht. Hätten sich Kirch-Gruppe und Tagesschau nicht
geeinigt, wäre es vielleicht zu einem Kurzberichterstattungs-Urteil gekommen,
das auch für andere Sportarten hätte wegweisend sein können.
Meinungsvielfalt, Kritik und Kontrolle, Rede und
Gegenrede, die Darstellung des Geschehens aus mehreren Perspektiven – das alles
wird beim Sportjournalismus immer mehr zu Trugbild. Pressekonferenzen im
Vorfeld oder Anschluss von Sport-Großveranstaltungen verkommen immer öfter zur PR-Show.
Hinter den Akteuren prangen groß und breit die Schriftzüge der Sponsoren, davor
gibt’s meist wenig Neues, schon gar nichts Kritisches. So verbat sich etwa
Sportartikelhersteller Nike vor der Leichtathletik-WM in Kanada bei einer
Pressekonferenz der amerikanischen Sprint-Stars jegliche Fragen zum Thema
Doping. In Holland und Großbritannien experimentier(t)en große Sportvereine
bereits mit eigenen TV-Sendern, um ihre Außendarstellung zu perfektionieren.
Bei der Formel 1 bestimmt allein Renndirektor Bernie Ecclestone darüber, welche
TV-Bilder ausgestrahlt werden. Da wird das Multiperspektiv-Fernsehen, bei dem
Premiere-Kunden das Geschehen über verschiedene Kanäle aus verschiedenen
Blickwinkeln betrachten können, zum Surrogat von Vielfalt. Vielzahl ist eben
nicht gleich Vielfalt und „more“ bedeutet halt im Sport allzu oft nur „more of
the same“.