Nach Baden-Württemberg und dem Saarland hat am 14. Dezember auch Nordrhein-Westfalen Kapazitäten für das Handy-Fernsehen über den Standard Digital Multimedia Broadcasting (DMB) ausgeschrieben. Pünktlich zur Fußball-Weltmeisterschaft sollen WM-Fernsehbilder via Handy empfangbar sein.

 

In Südkorea hat die Fernsehwelt via Mobilfunk bereits begonnen. Ein halbes Jahr nach dem Start im vergangenen Juni haben etwa 170.000 Handy-Kunden das neue Mini-Fernsehen abonniert. Nach Angaben des koreanischen Herstellers Samsung nutzen die Koreaner ihre Mobilfunkgeräte durchschnittlich pro Tag fast zwei Stunden lang als mobiles TV-Gerät und können etwa vierzig Programme empfangen. Für etwa zehn Euro pro Monat erhalten sie auf einem kleinen Handy-Display (2 Zoll, 240 mal 320 Bildpunkte) Kurznachrichten oder Ausschnitte aus Fernsehprogrammen in TV-Qualität. Möglich wird das dank des vor zehn Jahren ursprünglich in Deutschland entwickelten Standards DMB. Jetzt könnte die Technik, mit der die koreanischen Elektronikriesen Samsung und LG-Electronics in den kommenden fünf Jahren siebzig Prozent aller Mobilfunk-Endgeräte ausstatten wollen, in ihr europäisches Heimatland zurückkehren.

Ü Technik stammt aus Deutschland

Als Ende der 80-er Jahre mit dem Standard Digital Audio Broadcasting (DAB) das einzige bei der International Telecommunication Union (ITU, Unterorganisation der Vereinten Nationen) spezifizierte Verfahren für terrestrischen digitalen Hörfunk entwickelt wurde, dauerte es nicht lange, bis Bosch und die Deutsche Telekom die Technik auch fürs Fernsehen testeten. Bereits 1996 fuhren deshalb Autos durch Bonn, in denen TV-Programme flimmerten, die via DMB empfangen wurden. Zwei Jahre später gelangen sogar Tests bei Tempo 403 km/h im rasenden Transrapid. Doch die Unterhaltungselektronik-Branche nahm davon nur wenig Notiz. Erst als vor drei Jahren eine Delegation aus Südkorea mit Bosch Kontakt aufnahm, erlebte die deutsche Erfindung eine Renaissance.

Die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten hat sich bereits Ende August auf ein „länderübergreifendes Erprobungsprojekt für Rundfunkdienste im DAB-/DMB-Standard für den Empfang mit portablen Endgeräten“ verständigt. Im Oktober schrieb die Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LfK) erste DMB-Frequenzen aus, im November folgte die Landesmedienanstalt Saarland (LMS).

Ü Sendenetz mit hoher Abdeckung

Für Nordrhein-Westfalen können sich potenzielle DMB-Programmanbieter nun bis Ende Januar bei der LfM bewerben. Etwa zwei Monate später will die LfM für zunächst drei Jahre eine Entscheidung treffen. Nach den WM-Städten Köln, Dortmund und Gelsenkirchen, die bereits ab Mai versorgt werden sollen, folgen in einer ersten Ausbaustufe alle NRW-Städte mit mehr als 200.000 Einwohnern. Anschließend sollen die 15 Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern versorgt werden sowie Netzstrukturen entlang der Autobahnen aufgebaut werden. LfM-Fördermittel stehen – anders als im Fall DAB – nicht zur Verfügung.

 

Anfang kommenden Jahres sollen auch in Bayern vier Pilotprojekte starten. Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt planen ebenfalls die DMB-Ausstrahlung. Geht es nach dem Wunsch der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (ALM) könnte DMB bis zum Mai an fast allen WM-Spielorten verfügbar sein. Da Digital Multimedia Broadcasting auf der Technologie von DAB basiert, besteht in den meisten Verbreitungsgebieten bereits ein geeignetes Sendernetz, das sich für DMB nachrüsten lässt.

Ü Suche nach Geschäftsmodellen

Bei der DMB-Ausstrahlung über DAB-Netze werden die Videosignale mit Hilfe von MPEG-4 reduziert und erlauben so auch bei Datenraten von weniger als 400 Kbit/s akzeptable Bildqualität. Weil für die nur etwa 100.000 DAB-Endgeräte in Deutschland bislang lediglich eine begrenzte Anzahl von Programmen ausgestrahlt wird, bestehen im so genannten L-Band noch fast überall im Bundesgebiet freie Kapazitäten. Außer jeweils einem Hörfunk-Programm plus Datendiensten lassen sich via DMB bis zu drei Fernsehprogramme übertragen.

Offen ist zurzeit noch, wie die Programme und Geschäftsmodelle für die neuen Mobilfunk-Minifernseher aussehen werden. Die mit der Weltmeisterschaft anlaufenden Pilotprojekte sollen Aufschluss über Nutzerverhalten und Zahlungsbereitschaft der Kunden geben, aber auch Menüführungen, Navigatoren und Akzeptanz testen. Unklar ist auch, wer die „Programm-Aggregatoren“, also Betreiber, der neuen DMB-Angebote sein werden. Die Mobilfunk-Anbieter hoffen ebenso auf neue Einnahmen wie die unter der Werbekrise leidende Free-TV-Branche. Zu den Unternehmen, die bundesweit bislang Interesse an der neuen DMB-Plattform signalisiert haben, gehören aber auch Branchen-Neulinge wie die in Düsseldorf ansässige Firma Mobiles Fernsehen Deutschland (MFD). Dabei handelt es sich um eine GmbH, deren Gesellschafter außer Dieter Ammer (Vorstandsvorsitzender der Tchibo Holding AG) ein Stuttgarter Risikokapital-Unternehmen und eine Hanauer Beteiligungsgesellschaft sind. Als Geschäftsführer fungiert der Essener Rechtsanwalt Henrik Rinnert.

Ü Konkurrenz durch DVB-H

DMB aber ist nicht die einzige Möglichkeit, um aus dem Handy einen kleinen Fernseher zu machen. In Berlin verfügen bereits etwa dreißig Testpersonen über Miniempfänger, mit denen basierend auf dem DVB-T-Netz (digitales terrestrisches Fernsehen) 15 TV-Programme empfangen werden können. Das mit EU-Mitteln unterstützte Pilotprojekt basiert auf dem Standard DVB-H (Digital Broadcasting für Handhelds), der mehr als zwanzig Programme erlaubt. Theoretisch wäre es möglich, auch direkt via DVB-T Fernsehprogramme für Handys auszustrahlen. Allerdings bietet DVB-T eine höhere Datenkompression, eine bessere Auflösung und benötigt weniger Akku-Kapazitäten. Außer in Berlin und Brandenburg wird DVB-H zurzeit auch in Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern forciert. Dort haben die Landesmedienanstalten gemeinsam mit den vier großen deutschen Mobilfunk-Netzbetreibern einen Regelbetrieb ab 2007 vereinbart. In den norddeutschen WM-Städten soll die Erprobungsphase bereits im nächsten Jahr starten. Im Norden und Nordosten Deutschlands zeichnet sich bereits ab, dass DVB-H gegenüber DMB klar den Vorzug erhält.

Systeme fürs „Handy-Fernsehen“ im Vergleich...

 

DMB

DVB-H

UMTS

Basisnetz

baut auf DAB auf

baut auf DVB-T auf

Mobilfunknetz

Verfügbarkeit

nahezu bundesweit

Ballungsräume

zurzeit nur Ballungsräume

möglicher Start

ab 2006

ab 2007

bereits in Betrieb

Programme

3 TV-Programme

20-30 TV-Programme

19 TV-Kanäle (Vodafone)

Bildqualität

hoch

hoch

sinkt bei wachsender Nutzerzahl

Internet-Protocol (IP)

nicht möglich

möglich

möglich

Zusatzdienste gegen Entgelt

kaum möglich

leicht möglich (über IP)

bereits vorhanden (über IP)

Strombedarf

mittel

höher

mittel

 

 

DVB-H wird vor allem von Vodafone und Nokia unterstützt. Der finnische Elektronikkonzern stellte Ende Oktober mit dem Handy N92 das erste DVB-H-Gerät vor, das gleichzeitig Minifernseher, Radio, Audio-Player und Online-Zugang anbietet. Der 600 Euro teure kleine Riese wird allerdings erst Mitte 2006 auf den Markt kommen, während es für DMB bereits eine Reihe marktreifer Geräte (Samsung, LG, Perstel) gibt. Vodafone bietet etwa 100.000 UMTS-Kunden über das Online-Portal Vodafone live bereits heute 18 TV-Kanäle mit Kurzfilmen (meist 30 bis 60 Sekunden lang). Der Mobilfunk-Netzbetreiber weiß aber – ebenso wie die Konkurrenz von T-Mobile –, dass bei steigender Nutzerzahl die Empfangsleistung drastisch sinkt. Damit ist UMTS für den Massenmarkt ungeeignet.

Ü Warten auf neuen Standard DXB

Ähnlich wie UMTS leidet auch DVB-H noch unter erheblichen Versorgungslücken und wird vorerst nur in den Ballungsräumen zu empfangen sein. Der DMB-Basisstandard DAB hat hingegen eine technische Reichweite von bundesweit etwa 90 Prozent aller Haushalte. Im Gegensatz zu Vodafone setzt deshalb die Telekom-Tochtergesellschaft T-Systems, die gemeinsam mit der ARD für die TV-Rundfunkübertragung zuständig ist, auch zunächst auf DMB. Der noch bestehende Engpass, dass auf dem L-Band nur Kapazitäten für etwa drei TV-Programme zur Verfügung stehen, soll nach der Wellenplanungskonferenz RRC 06 in Genf überwunden sein. Nach den aktuellen Planungen könnte Deutschland dann acht DVB-T- und drei DAB-Bedeckungen erhalten, wobei DVB-T-Kapazitäten auch für DMB genutzt werden könnten.

 

Ob sich DMB oder DVB-H am Ende durchsetzen wird, ist noch unklar. Vielleicht werden beide Standards auch nebeneinander existieren. Im Frühjahr 2007 soll ohnehin ein weiterer neuer Standard vorgestellt werden. Er heißt DXB (Digital eXtended Broadcasting) und wird ab 2008 Internet-basiert DMB, DVB-H und UMTS miteinander kombinieren.