Chronik des Berliner Zeitungs-Streits
Seit mehr als zwei Jahren Kampf um Berliner
Zeitung und Tagesspiegel
Von Dr. Matthias Kurp, 27.10.2004
Mit dem
Scheitern der Verlagsgruppe Holtzbrinck vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht
(4
siehe Artikel Holtzbrinck
scheitert mit Kartell-Beschwerde) könnte ein Schlusspunkt
unter die Auseinandersetzungen um den Berliner Verlag gesetzt worden sein. Noch
aber bleibt der Weg zum Bundesgerichtshof. Im Folgenden werden die wichtigsten
Etappen der Auseinandersetzung zusammengefasst:
1. JULI 2002: Berliner Zeitung, Berliner Kurier und das Stadtblatt Tip werden von Gruner + Jahr für geschätzte 200-250 Mio. € an die Verlagsgruppe Holtzbrinck verkauft.
12. DEZEMBER 2002: Das Bundeskartellamt stoppt
den verkauf, weil der Holtzbrinck Verlag, der auch (seit 1992)
den Berliner Tagesspiegel und das Stadtmagazin Zitty
verlegt, sonst in Berlin einen Abo-Gesamtmarktanteil
von 61,4 Prozent erreiche.
18. DEZEMBER 2002: Holtzbrinck kündigt an, bei Clement
eine Sondererlaubnis für die Übernahme zu beantragen.
14. JANUAR 2003: Der Holtzbrinck-Verlag reicht beim Bundeswirtschaftsministerium einen Antrag auf
Ministererlaubnis ein, über den bis Mai
2003 entschieden werden muss.
Begründung: Der
Springer Verlag dominiere mit 55% Prozent den Berliner Anzeigenmarkt (Holtzbrinck: 40%). Bei einem
Fusionsverbot müsse der defizitäre Tagesspiegel (seit 1992 ca. 75 Mio. €
Verlust, davon 2002 ca. 6,6 Mio. €) eingestellt werden.
Im Fall der Ablehnung will
Holtzbrinck Beschwerde beim Oberlandesgericht
Düsseldorf einlegen.
30. MÄRZ 2003: Um die Zustimmung Clements zu bekommen, schlägt Holtzbrinck ein Stiftungsmodell vor. Die Redaktion des Tagesspiegels soll in eine Gesellschaft überführt werden, deren Unabhängigkeit durch ein 9-köpfiges Kuratorium überwacht werden soll. Außerdem soll das Stadtmagazin Zitty verkauft werden.
10. APRIL 2003: Die Monopolkommission spricht sich (trotz Stiftungsmodell) gegen die Übernahme der Berliner Zeitung durch Holtzbrinck aus
18. APRIL 2003: In einem Brief an Clement
warnt der Vorstandschef des Springer-Verlages, Mathias Döpfner, im Fall einer
Sondererlaubnis müssten sowohl Die Welt als auch die Berliner
Morgenpost eingestellt werden.
22. APRIL 2003: Bei einer
mündlichen Anhörung bei Clement drohen Holtzbrinck und der Springer-Verlag
abermals mit der Einstellung ihrer Hauptstadt-Zeitungen.
13.
MAI 2003: Wirtschaftsminister Wolfgang
Clement erteilt einen Zwischenbescheid. Danach soll der Holtzbrinck Verlag
sechs Wochen lang versuchen, einen Käufer für den Tagesspiegel zu
finden. Wenn kein Interessent gefunden werde, sei eine Ministererlaubnis möglich.
Voraussetzung für eine
Ministererlaubnis sind ein „überragendes Interesse der Allgemeinheit“ bzw.
„gesamtwirtschaftliche Vorteile“, die schwerer wiegen als Konzentrationsbedenken. Seit
Einführung der Fusionskontrolle 1973 wurden von 17 Anträge auf Ministererlaubnis 7 bewilligt. Im Medienbereich lag
nur 1981 ein Antrag des Burda-Verlages vor, der
aber wieder zurückgezogen wurde.
15. JUNI 2003: Der Hamburger Bauer-Verlag kündigt ebenfalls an, den Tagesspiegel kaufen zu wollen.
1. AUGUST 2003: Der Tagesspiegel stellt
sich in einer ganzseitigen Erklärung „in eigener Sache“ gegen einen möglichen
Verkauf an den Bauer-Verlag.
1.
SEPTEMBER 2003: Die Monopolkommission lehnt einen Zusammenschluss
von Tagesspiegel und Berliner Zeitung weiterhin ab. Eine Woche
vor der zweiten Anhörung im Bundeswirtschaftsministerium bekräftigt die
Kommission ihre Empfehlung, den Antrag auf eine Ministererlaubnis abzulehnen.
8. SEPTEMBER 2003: Bei einer erneuten Anhörung im
Bundeswirtschaftsministerium bietet Bauer 20 Millionen Euro für den Kauf des Tagesspiegel
sowie eine Bestandsgarantie für zwanzig Jahre. Holtzbrinck weist dies als
„unseriös“ zurück.
29. SEPTEMBER 2003: Die Holtzbrinck-Gruppe kündigt
an, den Tagesspiegel an ihren früheren Manager Pierre Gerckens zu
verkaufen. Der Weg zur Übernahme der Berliner Zeitung wird frei.
7. November 2003: Das Bundeskartellamt genehmigt den Verkauf des Tagesspiegels an Pierre Gerckens, prüft die Übernahme der Berliner Zeitung durch Holtzbrinck aber weiterhin.
19. Dezember 2003: Das Bundeskartellamt erteilt der Holtzbrinck-Gruppe wegen des Kaufs der Berliner Zeitung
eine Abmahnung.
Kartellamtschef Ulf Böge erklärt, eine
dauerhafte Trennung der Verlagsgruppe Holtzbrinck vom Tagesspiegel
sei nicht zu erkennen, weil das Unternehmen vertraglich das Recht habe, nach
einer Änderung der Pressefusionskontrolle 75 Prozent der Tagesspiegel-Anteile
zurückzukaufen.
4. Februar 2004: Das Bundeskartellamt untersagt die geplante Übernahme
der Berliner Zeitung durch die Holtzbrinck-Gruppe erneut, da die an Gerckens verkauften Tagesspiegel-Anteile
noch immer Holtzbrinck zuzurechnen seien. Holtzbrinck kündigt
eine Klage vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf an.
Nach Recherchen der
Süddeutschen Zeitung sollte Pierre Gerckens für den Tagsspiegel und Zitty
nur 10 Millionen Euro zahlen, ursprünglich in
drei Raten, zahlbar bis 2008. Bauers Preisangebot allein für den defizitären Tagesspiegel lag bei 20
Millionen Euro. Später wird bekannt, dass sich Gerckens verpflichten muss, das Blatt
bis Ende 2006 nicht weiterzuverkaufen, und dass für Holtzbrinck ein
Rückkaufrecht bis Ende 2004 besteht.
27. Oktober 2004: Das Düsseldorfer Oberlandesgericht weist die
Beschwerde des Holtzbrinck-Verlages gegen die Entscheidung des
Bundeskartellamtes zurück und wertet die Position Gerckens als die eines
Treuhänders. Im 42-seitigen
Gerichtsbeschluss heißt es, mit der Übernahme der Berliner Zeitung
erreiche Holtzbrinck auf dem Hauptstadt-Lesermarkt für regionale Abonnementszeitungen
einen Marktanteil von mehr als 60 Prozent. Bereits bei mehr als 33 Prozent geht
das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) von einer marktbeherrschenden
Position aus.