Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement will Zeitungsverlagen mit einer Lockerung der Pressefusionskontrolle das Überleben sichern. Gegner des Gesetzesvorhabens warnen vor noch mehr Pressekonzentration. Im Bundestag und im Bundesrat konnte sich Clements Konzept bislang nicht durchsetzen. Jetzt soll das Modell modifiziert werden, und die SPD sucht nach Kompromissen.

Um das Zeitungssterben zu verhindern, ermöglichte es die Dritte Kartellrechtsnovelle 1976 dem Kartellamt durch den Paragrafen 35 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), Zusammenschlüsse von zwei Zeitungsverlagen zu untersagen, wenn sie auf dem selben Markt agieren und gemeinsam einen Jahresumsatz von mehr als 25 Millionen Euro im Inland erzielen („Aufgreifkriterium“). Dann wird nur eine maximale Beteiligung von 24,9% erlaubt. Zum Vergleich: Für andere Wirtschaftszweige liegt das Aufgreifkriterium erst bei 500 Millionen Euro.

 

Für Zeitungsverlage gilt seit 1976 auch die so genannte „Bagatellklausel“ nicht mehr, wonach die Fusionskontrolle unterbleibt, wenn ein beteiligtes Unternehmen weniger als 10 Millionen Euro Jahresumsatz ausweist.

Ü Weitgehender Referentenentwurf

Im Rahmen der 7. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sollte das Pressefusionsrecht schon mit Wirkung zum 1. Mai 2004 geändert werden. In diesem Rahmen war in einem Referentenentwurf vom Dezember 2003 folgende Liberalisierung geplant:

 

·          Die Eingreifschwelle des Bundeskartellamtes soll beim gemeinsamen Umsatz fusionierter Pressenternehmen von 25 auf 50 Millionen Euro erhöht werden.

     4Dadurch könnten bundesweit ca. 40-50 Zeitungsverlage kontrollfrei fusionieren.

·          Zusammenschlüsse von Unternehmen mit weniger als 2 Millionen Euro gemeinsamen Jahresumsatz sollen nicht mehr der Fusionskontrolle unterliegen („Bagatellklausel“).

     4Dadurch könnten bundesweit 30 Zeitungsverlage barrierefrei verkauft werden.

 

Die Novelle des Pressefusionsrechtes in der Form des Referentenentwurfes sah außerdem eine Änderung des § 36 GWB vor. Dabei sollen Zeitungsfusionen mit einem Gesamtumsatz von mehr als 50 Millionen Euro auch in Fällen marktbeherrschender Positionen erlaubt sein:

-          wenn die erworbenen Zeitungen oder Zeitschriften „langfristig als selbständige publizistische Einheiten“ erhalten bleiben,

-          wenn der Veräußerer oder ein Dritter einen Stimmrechtsanteil von 25 Prozent behält („Altverleger-Klausel“)

-          und wenn der Käufer nicht die Titelrechte und die „alleinigen Bestimmungsrechte über die inhaltliche Ausrichtung der Zeitschriften oder Zeitungen erlangt“.

Ü Korrekturen des Ursprungsmodells

Im April 2004 legte das Bundeswirtschaftsministerium einige Korrekturen des Referentenentwurfes vor. Die ursprünglich geplante Liberalisierung wurde dabei durch eine „Missbrauchsregel“ ergänzt:

·          Voraussetzung für den Wegfall der Pressefusionskontrolle ist, dass die Anzeigen- und Beilagenerlöse eines Zeitungstitels (nicht eines Unternehmens!) drei Jahre lang hintereinander gesunken sind „oder erheblich unter dem Durchschnitt vergleichbarer Zeitungen“ liegen.

·          Außerdem sollen regionale Zeitungsketten unterbunden werden, indem die wiederholte und rasche Übernahme von Zeitungen in „räumlich benachbarten Märkten“ durch einzelne Unternehmen vom Kartellamt unterbunden werden können.

 

Darüber hinaus sieht der neue Referentenentwurf folgende Regelungen vor:

·         Die Übernahme einer Zeitung soll auch dann zulässig sein, wenn eine Zeitung, die einen anderen Titel übernehmen will, selbst wirtschaftliche Probleme hat („Lex Holtzbrinck“).

·         Werbekooperationen von Zeitungsverlagen sollen „ohne weitere Bedingungen“ aus dem Kartellverbot ausgeklammert werden.

Ü Neues SPD-Eckpunktepapier

Im Rahmen der Medientage München gestand Wirtschaftsminister Clement am 21. Oktober 2004 für den Gesetzgebungsprozess das vermutliche Scheitern der Altverleger-Klausel ein. Zugleich verwies er auf ein neues Eckpunktepapier der SPD-Bundestagsfraktion. Demnach tritt an die Stelle der erweiterten Fusionsmöglichkeiten nach dem Vertrags- oder Altverlegermodell, auf das verzichtet werden soll, nun die Ausweitung von Kooperationsmöglichkeiten: „Nicht nur im Anzeigenbereich, sondern auch im Vertrieb und im Druck sollen Kooperationen, notfalls über die Grenze der Marktbeherrschung hinaus, möglich sein“, kündigte Clement in München an. Modelle, nach denen unterschiedliche Verlage in einzelnen Städten sogar einen gemeinsamen Anzeigen-Belegungszwang durchsetzen dürfen, dementierte der Bundeswirtschaftsminister allerdings.

Clement drückt weiter aufs Tempo. Gehe es nach ihm, kündigte er an, würden die neuen Regeln noch in diesem Jahr beschlossen. Alle Formen von Kooperationen, die den redaktionellen Bereich ausklammern, sollen schließlich von der Fusionskontrolle des Bundeskartellamtes ausgeklammert werden. Genehmigungen für Kooperationen sollen nach dem neuen Modell lediglich an zwei Voraussetzungen geknüpft werden: Erstens muss jeweils einer der beteiligten Verlage drei Jahre in Folge rückläufige Werbeerlöse unter dem Branchendurchschnitt aufweisen, und zweitens sollen Kooperationen die Wettbewerbsfähigkeit mindestens eines der beteiligten Verlage verbessern.

Ü Chronik des Gesetzgebungsverfahrens

27.05.2004: Das Bundeskabinett beschließt den modifizierten Referentenentwurf als Gesetzesentwurf, der anschließend parallel im Bundestag und Bundesrat verhandelt werden soll.

09.07.2004: Der Bundesrat lehnt die 7. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ab. Der Entwurf, so heißt es im Beschluss, führe zu „einer faktischen Aufhebung der Pressefusionskontrolle“ und die Änderungen des Pressekartellrechtes seien „vollumfänglich abzulehnen“. Die Novelle sei „ordnungspolitisch bedenklich, gesetzgeberisch systemwidrig“ und weder „zielführend zur Behebung der konjunkturellen und strukturellen Probleme der Pressebranche noch geeignet zur Wahrung der Meinungsvielfalt“.

Am selben Tag veröffentlicht die Monopolkommission ihr 15. Hauptgutachten und spricht sich darin „weiterhin entschieden gegen den Entwurf“ aus. Bei seiner Umsetzung drohe „eine Ausdünnung der publizistischen Vielfalt sowie ein deutlicher Rückgang von Beschäftigungsmöglichkeiten von Journalisten“. Würden Anzeigenkooperationen tatsächlich künftig vom Kartellamt freigestellt, müssten Anzeigenkunden Monopolgewinne zahlen.

10.09.2004: Wirtschaftsminister Wolfgang Clement bringt die 7. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen in den Bundestag ein (1. Lesung). CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen äußern sich deutlich gegen die vom Gesetzentwurf vorgesehene Art, die Pressefusionskontrolle zu lockern. Rainer Brüderle (FDP) sagt, Meinungsfreiheit sei nicht durch Fusionen zu sichern. Ernst Hinsken (CSU) wirft Bundeswirtschaftsminister Clement vor, mittelständische Verlage zu gefährden und Konzentration zu fördern.

20.09.2004: Bei einer öffentlichen Experten-Anhörung des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Arbeit kritisiert der Verband Deutscher Lokalzeitungen, die Altverleger-Klausel diene „lediglich zur Bedienung der Interessen einiger Großverlage“, sei „offensichtlich verfassungswidrig“ und helfe nur den Großverlagen.

Vertreter der Verlage Holtzbrinck, Springer und DuMont Schauberg erwidern. wenn lediglich „nicht-redaktionelle Verlagsteile“ zusammengelegt würden und die betroffenen Zeitungen als „selbständige redaktionelle Einheiten erhalten“ blieben, werde der Leser „von der Fusion überhaupt nichts merken“. Dieter Holtzbrinck beschwert sich, die Marktabgrenzung, die das Kartellamt zwischen Kauf-, Abo- und Wochenzeitungen ziehe, sei zu eng. Wolfgang Bernhardt, Geschäftsführer der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, lehnt hingegen die Lockerung des Pressefusionsrechtes ab und warnt, eine Altverleger-Klausel mache Strohmann-Modelle möglich.

Auch das Bundeskartellamt und die Monopolkommission erneuern ihre Kritik an der Altverleger-Klausel. Kartellamtschef Ulf Böge vertritt die Ansicht, es sei nicht Aufgabe des Staates, auf Marktveränderungen mit neuen Gesetzen zu reagieren. Prof. Dr. Martin Hellweg, Mitglied der Monopolkommission, warnt vor regionalen Zeitungsketten, da laut Referentenentwurf nur eine wiederholte, zeitlich eng aufeinanderfolgende Anwendung der Ausnahmeregelung erlaubt sei.

Klaus Brandner, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, nennt die Anhebung kartellrechtlicher Prüfschwellen als sinnvoll, sieht durch die Altverleger-Klausel jedoch die Pressevielfalt bedroht.

27.09.2004: Im Rahmen des Festaktes zum 50-jährigen Bestehen des Bundesverbandes Deutscher Zeitungsverleger spricht sich Bundeskanzler Gerhard Schröder für ein „Stufenmodell“ bei Pressefusionen aus. Dabei sollten zunächst Kooperationen im Anzeigensektor genehmigt und erst in einem zweiten Schritt Fusionen erleichtert werden.

30.09.2004: Nach einem Treffen zwischen Bundeswirtschaftsminister Clement und der SPD-Bundestagsfraktion signalisiert der SPD-Berichterstatter für das Gesetz im Wirtschaftsausschuss, Hubertus Heil, die Altverleger-Klausel stehe nicht mehr zu Debatte, vielmehr sollten jetzt Kooperationsmöglichkeiten für Verlage in den Bereichen Verwaltung, Druck, Vertrieb und Anzeigen ausgelotet werden.

21.10.2004: Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement kündigt bei den Medientagen München an, er halte die Altverleger-Klausel nicht für durchsetzbar. An ihre Stelle sollen erweiterte Kooperationsmöglichkeiten treten.

 

1 Referentenentwurf vom 17.12.2003

1 Modifikation des Entwurfes vom 15.04.2004

1 Stellungnahme des Bundesrates

1 Gutachten der Monopolkommission