Bei ihrer Suche nach Rezepten gegen die Zeitungskrise testen einige europäische Verlagshäuser ein kleineres Format namens Tabloid. Vorreiter war „The Independent“ in Großbritannien, es folgten Zeitungen in Schweden und der Schweiz. Als erste deutsche Tabloid-Ausgabe ging am 24. Mai in Berlin „Welt Kompakt“ an den Start. Inzwischen vertreibt der Springer Verlag die Mini-Ausgabe der „Welt“ auch im Frankfurter Raum und will bald auch weitere Ballungsräume mit seiner „Welt Kompakt“ versorgen.

Im September des vergangenen Jahres wagte die britische Prestigezeitung „The Independent“ einen ungewöhnliches Experiment: Parallel zur gewohnten Ausgabe wurde das linksliberale Blatt im halb so großen Format gedruckt, das in Großbritannien bis zu diesem Zeitpunkt eigentlich der Boulevard-Presse vorbehalten war, während die seriöseren Titel als großformatige Broadsheet-Ausgaben erschienen. Etwa acht Millionen Euro wurden beim „Independent“ investiert und zahlten sich aus. Zwischen November und April soll die Auflage durchschnittlich um etwa 16 Prozent über dem jeweiligen Vorjahreswert gelegen haben. Weil vor allem junge, gut ausgebildete Leser gewonnen werden konnten, verabschiedete sich „The Independent“ im Mai komplett von der Broadsheet-Ausgabe.

 

4 Zeitungsformate

Nordisches Format

400 x 570 mm

Rheinisches Format

365 x 510 mm

Halbes Rheinisches Format

255 x 365 mm

Berliner Format

315 x 470 mm

Halbnordisches Format

285 x 400 mm

Halbes Schweizer Format

240 x 330 mm

Tabloid Format

235 x 315 mm

 

Ü Tabloid auch in Schweden und der Schweiz

Das britische Beispiel ist kein Einzelfall. Nachdem vor wenigen Wochen auch der Titel „Dagens Nyheter“ auf das Tabloid-Format umgestellt wurde, erscheinen in Schweden inzwischen alle großen Tageszeitungen in handlicher Größe. Zuvor hatten sich sowohl „Göteborgs-Posten“ als auch „Sydvenska Dagbladet“ und das konservative „Svenska Dagblatet“ einer freiwilligen Schrumpfkur unterzogen. In der Schweiz mutierte mit der Boulevardzeitung „Blick“ Mitte Juni die auflagenstärkste Zeitung (290.000 Auflage) zum Tabloid-Exemplar. In Norwegen galt Gleiches für die renommierte „Aftenposten“.

Der Begriff „Tabloid“ steht für eine kompakte, schnell konsumierbare Form von Informationen. Als erstes großes deutsches Zeitungshaus testet der Springer Verlag, ob sich mit kleinerem Format auch in Deutschland größere Erlöse machen lassen. Am 24. Mai erschien erstmals „Welt kompakt“ als 32 Seiten starkes Blatt, das von montags bis freitags zum Preis von 50 Cent im Einzelverkauf zu haben ist. Während der Versuch zunächst auf Berlin beschränkt war, wurde er am 13. Juni auf Frankfurt ausgeweitet. Der Test soll acht Wochen lang dauern. Über die Auflage von „Welt Kompakt“ machte der Springer Verlag keine Angaben. Alle Inhalte sind der Hauptausgabe von „Die Welt“ entnommen und werden von etwa einem Dutzend Redakteuren in gekürzte Fassungen verwandelt. Neu sind nur das kleinere Format, kürzere Texte und die Ausrichtung auf neue, jüngere Leser. Ziel von „Welt Kompakt“ ist es nämlich, dem defizitären Mutterblatt zu neuen Lesern zu verhelfen. Die Ausgaben sollen vor allem über Straßenverteiler an Pendler verkauft werden.

Ü Erfolg nicht automatisch garantiert

„Die Welt“ macht seit Jahren Verluste und hat seit Anfang 2002 mehr als 30.000 Käufer verloren. Im ersten Quartal wurden von täglich 202.671 verkauften Exemplaren nur noch etwa 27.000 an den Kiosken und im Einzelhandel abgesetzt. Über die Höhe der Auflage von „Welt Kompakt“ machte der Verlag keine Angaben. Nach Recherchen der „Financial Times Deutschland“ sollen im Juni pro Tag etwa 3800 Exemplare auf dem Berliner Markt abgesetzt worden sein, teilweise mit der Folge von Akzeptanzverlusten für das Stammblatt „Die Welt“ und die ebenfalls vom Springer Verlag herausgegebene „Berliner Morgenpost“. Sollte sich ein solcher Kannibalismus-Effekt einstellen, wäre das Projekt gescheitert. Sollte der Versuch allerdings positiv ausgehen, möchte Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner das Produkt „Welt Kompakt“ bald bundesweit anbieten. Ein Regionalzeitungskonzept aber sei ebenso wenig geplant wie die Einstellung der Hauptausgabe, beteuerte Döpfner.

Dass Tabloid-Formate nicht automatisch Erfolge garantieren, zeigt das Beispiel der englischen „Times“, die zwar auch 15 Millionen Euro in einen Tabloid-Ableger investierte, dennoch aber den Auflagenschwund kaum stoppen konnte. „Daily Telegraph“ und vor allem „Guardian” halten deshalb in England noch am Broadsheet-Format fest. Anders als in Deutschland wird in Großbritannien mit dem kleineren Format nämlich vor allem Boulevardjournalismus verbunden, wie ihn „Sun“, „Express“ oder „Daily Mail“ bieten. Um so mehr bemüht sich „The Independent“ immer wieder zu betonen, die Formatänderung habe keinerlei Auswirkungen auf die Inhalte.

Ü „20 Cent“ in Cottbus gestartet

Neues Format und leicht verdauliche Inhalte wurden hingegen in Cottbus bei einem Projekt der „Lausitzer Rundschau“ kombiniert. Dort brachte die Verlagsgruppe Holtzbrinck am 10. Mai mit dem Titel „20 Cent“ nach eigenen Angaben Deutschlands preiswerteste Tageszeitung als Ableger der „Lausitzer Rundschau“ auf den Markt. Das täglich erscheinende 32-seitige vierfarbige Blatt wird in einer Auflage von 20.000 gedruckt. Mit dem Einzelverkaufspreis von nur zwanzig Cent zielt der neue Titel vor allem auf junges Publikum und Leser, die sonst keine Zeitung lesen.

„20 Cent“ erscheint im halbrheinischen Format in Südbrandenburg und Nordostsachsen. Inhaltlich erinnert das vom Zeitungsdesigner Mario Garcia gestaltete Blatt eher an Boulevard- oder Gratis-Zeitungen. „Neben einem komprimierten Überblick über die wichtigsten nachrichten aus der Lausitz, Deutschland und der Welt wird das neue Produkt vor allem durch junge Inhalte wie eine tägliche Single-Börse, Trend-, Musik- und Lifestyle-Seiten geprägt“, beschreibt Chefredakteur Peter Stefan Herbst, der auch die Redaktion der Lausitzer Rundschau leitet, das neue Konzept. Redaktionell wird „20 Cent“ von 14 ehemaligen Volontären der „Lausitzer Rundschau“ betreut, die aus Artikeln des Mutterblattes kurze News-Schnipsel basteln.

Ü Übersicht: Tabloids in Deutschland

Titel

Verlag

Start

Preis

Boulevard

Holtzbrinck

Januar 2005

50 Cent

20 Cent

Holtzbrinck

Mai 2005

50 Cent

News

Holtzbrinck

September 2005

50 Cent

Welt kompakt

Axel Springer

Mai 2005

50 Cent

direkt

DuMont Schauberg

Oktober 2005

50 Cent