Chronik des Berliner Zeitungsstreits

Wie die Verlagsgruppe Holtzbrinck um den Tagespiegel kämpft

 

 

Von Dr. Matthias Kurp, 01.05.2004

 
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Seit zwei Jahren versucht die Verlagsgruppe Holtzbrinck mit der Übernahme der Berliner Zeitung auf dem Pressemarkt der Hauptstadt die Marktführung zu übernehmen. Bislang scheiterten alle Versuche der direkten Übernahme. Die folgende Chronik dokumentiert einen wichtigen Abschnitt deutscher Pressegeschichte:

1. Juli 2002: Berliner Zeitung, Berliner Kurier und das Stadtblatt Tip werden von Gruner + Jahr für geschätzte 200-250 Mio. € an den Holtzbrinck-Verlag verkauft.

12. Dezember 2002: Das Bundeskartellamt untersagt den Kauf, weil der Holtzbrinck Verlag, der auch (seit 1992) den Berliner Tagesspiegel und das Stadtmagazin Zitty verlegt, sonst in Berlin einen Abonnement-Gesamtmarktanteil von 61,4 Prozent erreiche.

Der Springer Verlag kommt in Berlin mit seinen Titeln Berliner Morgenpost, Welt und Welt am Sonntag auf einen Auflagen-Marktanteil von 32,9 Prozent. Das Bundeskartellamt argumentiert, ein Zusammenschluss wirke als Wachstumsbarriere für andere Marktteilnehmer.

14. Januar 2003: Der Holtzbrinck-Verlag reicht beim Bundeswirtschaftsministerium einen Antrag auf Ministererlaubnis ein, über den bis Mai 2003 entschieden werden muss.

In der Begründung heißt es, der Springer Verlag dominiere mit 55% Prozent den Berliner Anzeigenmarkt (Holtzbrinck: 40%). Bei einem Fusionsverbot müsse der defizitäre Tagesspiegel (seit 1992 ca. 75 Mio. € Verlust, davon 2002 ca. 6,6 Mio. €) eingestellt werden. Im Fall der Ablehnung will Holtzbrinck Beschwerde beim Oberlandesgericht Düsseldorf einlegen.

März 2003: Der Holtzbrinck-Verlag schlägt ein neues Stiftungsmodell für den Tagesspiegel vor. Dabei soll eine Redaktionsgesellschaft gegründet werden, deren Unabhängigkeit durch ein 9-köpfiges Kuratorium überwacht werden soll. Außerdem soll das Stadtmagazin Zitty verkauft werden.

10. April 2003: Die Monopolkommission spricht sich (trotz Stiftungsmodell) gegen die Übernahme der Berliner Zeitung durch Holtzbrinck aus.

22. April 2003: Der Springer Verlag droht bei einer öffentlichen Anhörung im Wirtschaftsministerium für den Fall einer Ministererlaubnis mit dem Einstellen der Welt.

12. Mai 2003:Wirtschaftsminister Wolfgang Clement erteilt einen Zwischenbescheid. Danach soll der Holtzbrinck Verlag sechs Wochen lang versuchen, einen Käufer für den Tagesspiegel zu finden. Wenn kein Interessent gefunden werde, sei eine Ministererlaubnis möglich.

Voraussetzung für eine Ministererlaubnis sind ein „überragendes Interesse der Allgemeinheit“ bzw. „gesamtwirtschaftliche Vorteile“, die schwerer wiegen als Konzentrationsbedenken. Seit Einführung der Fusionskontrolle 1973 wurden von 17 Anträge auf Ministererlaubnis 7 bewilligt. Im Medienbereich lag nur 1981 ein Antrag des Burda-Verlages vor, der aber wieder zurückgezogen wurde.

8. September 2003: Bei einer zweiten Anhörung im Bundeswirtschaftsministerium bietet der Bauer Verlag 20 Millionen Euro für den Tagesspiegel sowie eine Bestandsgarantie. Die Verlagsgruppe Holtzbrinck lehnt allerdings ab. Clement will über eine Ministererlaubnis bis Ende September entscheiden.

29. September 2003: Holtzbrinck zieht den Antrag auf Ministererlaubnis zurück und kündigt an, den Tagesspiegel an den früheren Verlagsmanager Pierre Gerckens zu verkaufen, um die Berliner Zeitung übernehmen zu können.

7. November 2003: Das Bundeskartellamt genehmigt den Verkauf des Tagesspiegels an Pierre Gerckens, prüft die Übernahme der Berliner Zeitung durch Holtzbrinck aber weiterhin.

19. Dezember 2003: Das Bundeskartellamt erteilt der Holtzbrinck-Gruppe wegen des Kaufs der Berliner Zeitung eine Abmahnung.

Kartellamtschef Ulf Böge erklärt, eine dauerhafte Trennung der Verlagsgruppe Holtzbrinck vom Tagesspiegel sei nicht zu erkennen, weil das Unternehmen vertraglich das Recht habe, nach einer Änderung der Pressefusionskontrolle 75 Prozent der Tagesspiegel-Anteile zurückzukaufen.

4. Februar 2004: Das Bundeskartellamt untersagt die geplante Übernahme der Berliner Zeitung durch die Holtzbrinck-Gruppe erneut, da die an Gerckens verkauften Tagesspiegel-Anteile noch immer Holtzbrinck zuzurechnen seien.

Holtzbrinck kündigt eine Klage vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf an. Nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung sollte Pierre Gerckens für den Tagsspiegel und Zitty nur 10 Millionen Euro zahlen, ursprünglich in drei Raten, zahlbar bis 2008. Bauers Preisangebot allein für den defizitären Tagesspiegel lag bei 20 Millionen Euro.

30. April 2004: Das Bundeswirtschaftsministerium stellt den Entwurf für eine Novellierung der Pressefusionskontrolle vor, gemäß derer die Übernahme der Berliner Zeitung durch die Verlagsgruppe Holtzbrinck voraussichtlich erlaubt wäre.

 

Ü Siehe auch folgende Artikel:

                   1 Holtzbrinck-Verlag verkauft Tagesspiegel (29.09.2003)

                 1 Tagesspiegel-Tauziehen kurz vor dem Finale (09.09.2003)

                 1 Hängepartie im Streit um Berliner Zeitung (13.05.2003)