Chronik des Berliner Zeitungs-Streits
Ringen um Berliner Zeitung und Tagesspiegel
dauerte 14 Monate
Von Dr. Matthias Kurp, 30.09.2003
Mit dem überraschenden
Verkauf des Tagesspiegel an Pierre Gerckens (4 siehe Artikel Holtzbrinck-Verlag
verkauft Tagesspiegel) setzte die Verlagsgruppe Holtzbrinck einen
überraschenden Schlusspunkt unter einen Streit, der 14 Monate lang dauerte. Die
weiteren Beteiligten: Bundeswirtschaftsminister Clement, Bundeskartellamt,
Monopolkommission sowie die Verlage Springer und Bauer.
1. JULI 2002: Berliner Zeitung, Berliner Kurier und das Stadtblatt Tip werden von Gruner + Jahr für geschätzte 200-250 Mio. € an die Verlagsgruppe Holtzbrinck verkauft.
12. DEZEMBER 2002: Das Bundeskartellamt stoppt
den verkauf, weil der Holtzbrinck Verlag, der auch (seit 1992)
den Berliner Tagesspiegel und das Stadtmagazin Zitty verlegt, sonst in Berlin
einen Abo-Gesamtmarktanteil von 61,4
Prozent erreiche.
18. DEZEMBER 2002: Holtzbrinck kündigt an, bei Clement
eine Sondererlaubnis für die Übernahme zu beantragen.
14. JANUAR 2003: Der Holtzbrinck-Verlag reicht beim Bundeswirtschaftsministerium einen Antrag auf
Ministererlaubnis ein, über den bis Mai
2003 entschieden werden muss.
Begründung: Der
Springer Verlag dominiere mit 55% Prozent den Berliner Anzeigenmarkt (Holtzbrinck: 40%). Bei einem
Fusionsverbot müsse der defizitäre Tagesspiegel (seit 1992 ca. 75 Mio. €
Verlust, davon 2002 ca. 6,6 Mio. €) eingestellt werden.
Im Fall der Ablehnung will
Holtzbrinck Beschwerde beim Oberlandesgericht
Düsseldorf einlegen.
30. MÄRZ 2003: Um die Zustimmung Clements zu bekommen, schlägt Holtzbrinck ein Stiftungsmodell vor. Die Redaktion des Tagesspiegels soll in eine Gesellschaft überführt werden, deren Unabhängigkeit durch ein 9-köpfiges Kuratorium überwacht werden soll. Außerdem soll das Stadtmagazin Zitty verkauft werden.
10. APRIL 2003: Die Monopolkommission spricht sich (trotz Stiftungsmodell) gegen die Übernahme der Berliner Zeitung durch Holtzbrinck aus
18. APRIL 2003: In einem Brief an Clement warnt
der Vorstandschef des Springer-Verlages, Mathias Döpfner, im Fall einer
Sondererlaubnis müssten sowohl Die Welt als auch die Berliner
Morgenpost eingestellt werden.
22. APRIL 2003: Bei einer mündlichen
Anhörung bei Clement drohen Holtzbrinck und der Springer-Verlag abermals mit
der Einstellung ihrer Hauptstadt-Zeitungen.
13.
MAI 2003: Wirtschaftsminister Wolfgang
Clement erteilt einen Zwischenbescheid. Danach soll der Holtzbrinck Verlag
sechs Wochen lang versuchen, einen Käufer für den Tagesspiegel zu
finden. Wenn kein Interessent gefunden werde, sei eine Ministererlaubnis möglich.
Voraussetzung für eine
Ministererlaubnis sind ein „überragendes Interesse der Allgemeinheit“ bzw.
„gesamtwirtschaftliche Vorteile“, die schwerer wiegen als Konzentrationsbedenken. Seit
Einführung der Fusionskontrolle 1973 wurden von 17 Anträge auf Ministererlaubnis 7 bewilligt. Im Medienbereich lag
nur 1981 ein Antrag des Burda-Verlages vor, der
aber wieder zurückgezogen wurde.
15. JUNI 2003: Der Hamburger Bauer-Verlag kündigt ebenfalls an, den Tagesspiegel kaufen zu wollen.
1. AUGUST 2003: Der Tagesspiegel stellt
sich in einer ganzseitigen Erklärung „in eigener Sache“ gegen einen möglichen Verkauf
an den Bauer-Verlag.
1. SEPTEMBER
2003: Die Monopolkommission lehnt einen Zusammenschluss von Tagesspiegel
und Berliner Zeitung weiterhin ab. Eine Woche vor der zweiten
Anhörung im Bundeswirtschaftsministerium bekräftigt die Kommission ihre
Empfehlung, den Antrag auf eine Ministererlaubnis abzulehnen.
8. SEPTEMBER 2003: Bei einer erneuten Anhörung im
Bundeswirtschaftsministerium bietet Bauer 20 Millionen Euro für den Kauf des Tagesspiegel
sowie eine Bestandsgarantie für zwanzig Jahre. Holtzbrinck weist dies als
„unseriös“ zurück.
29. SEPTEMBER 2003: Die Holtzbrinck-Gruppe kündigt
an, den Tagesspiegel an ihren früheren Manager Pierre Gerckens zu
verkaufen. Der Weg zur Übernahme der Berliner Zeitung wird frei.
Siehe auch: 1 Holtzbrinck-Verlag verkauft Tagesspiegel
1 Tagesspiegel-Tauziehen kurz vor dem Finale
1 Hängepartie im Streit um Berliner
Zeitung
1 Zeitungsbranche im dritten Krisenjahr
1 Gefährliche Folgen der Zeitungskrise
1 Springer Verlag will Kartellrecht lockern