Die Verbreitung von Gratiszeitungen verstößt nicht gegen geltendes Recht. Mit diesem Urteil zog der Bundesgerichtshof einen Schlussstrich unter einen Rechtsstreit, den der Axel Springer Verlag und das Kölner Zeitungshaus DuMont Schauberg angestrengt hatten. Die Karlsruher Richter betrachteten bei ihrer Grundsatz-Entscheidung das Erscheinen kostenloser Tageszeitungen nicht als wettbewerbswidrig.

 

Auslöser des Gerichtsstreits war die Gratis-Zeitung „20 Minuten Köln“, die der norwegische Schibsted-Verlag Ende 1999 mit einer Auflage von 150.000 in Köln auf den Markt gebracht hatte. Das Objekte sollte sich ausschließlich aus Werbeeinnahmen finanzieren und wurde vor allem an Straßen- und U-Bahnstationen an die Leser verteilt. Sowohl DuMont Schauberg als auch der Axel Springer Verlag hatten vor drei Jahren ebenfalls Gratisblätter für Köln drucken lassen, um die norwegische Konkurrenz vom Markt zu vertreiben. Der so genannte Kölner Zeitungskrieg kostete alle Beteiligten Millionen-Summen. Allein Schibsted soll 2000 etwa zehn Millionen Mark Verlust gemacht haben (vgl. Artikel 4 Gratisblätter in den Startlöchern).

Auch nachdem die Kölner Gratis-Zeitung 2001 eingestellt worden war, strebte das Kölner Verlagshaus Verlag M. DuMont Schauberg (Kölner Stadt-Anzeiger, Kölnische Rundschau, Express) eine grundsätzliche Klärung an, nachdem der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln am 11. Mai 2001 zugunsten der Rechtmäßigkeit von kostenlosen Tageszeitungen geurteilt hatte (vgl. Artikel 4 Kölner Zeitungskrieg: kein Gratisblatt-Stopp). Der Kölner Verlag argumentierte, das Verschenken redaktioneller Leistung sei wettbewerbswidrig, bedrohe den Absatz kostenpflichtiger Zeitungen und gefährde dadurch den Bestand der freien Presse.

Ü Kein automatischer Bestandschutz

Klarheit in der Sache wollte auch der Axel Springer Verlag, der gegen das Erscheinen der unentgeltlichen Freiburger „Zeitung zum Sonntag“ (ZuS) durch alle Instanzen klagte, obwohl der Freiburger Verleger Michael Zäh längst pleite gegangen war. Ziel der beiden klagenden Verlage war es, höchstrichterlich feststellen zu lassen, dass Gratis-Zeitungen wettbewerbswidrig sind. Schließlich hatte der Bundesgerichtshof (BGH) in einem ähnlichen Verfahren geurteilt, dass „in dem kostenlosen Verteilen von Zeitungen ein Wettbewerbsverstoß liegen kann, wenn dadurch traditionelle Zeitungen in ihrem Bestand gefährdet werden“.

In dem BGH-Urteil vom 20. November (Aktenzeichen: I ZR 151/01) urteilten die Karlsruher Richter des ersten Zivilsenates, es sei zwar grundsätzlich wettbewerbswidrig, wenn eine üblicherweise entgeltlich angebotene Leistung in großem Umfang verschenkt und dadurch der Bestand des Wettbewerbs gefährdet werde. Allerdings habe in einer freien Marktwirtschaft niemand Anspruch auf einen „unveränderten Erhalt“ seines Kundenkreises. Schließlich könnten sich auf den verfassungsrechtlichen Schutz der Pressefreiheit nicht nur etablierte Tageszeitungsverlage, sondern auch die Herausgeber von anzeigenfinanzierten Zeitungen berufen. Eine Gefahr, dass die inserierende Wirtschaft Einfluss auf die Inhalte der Zeitung nehme, sei zwar grundsätzlich gegeben, existiere aber auch bei der mischfinanzierten Presse, die Einnahmen sowohl auf dem Werbe- als auch auf dem Lesermarkt erziele.

Ü Verleger halten Gratis-Zeitungen für „sittenwidrig“

In der Urteilsbegründung weisen die Richter auf den hochgradig konzentrierten Tageszeitungsmarkt in Deutschland hin. Mit der Gründung neuer Abonnementzeitungen seien die hohen Marktzutrittsbarrieren kaum zu überwinden, so dass es in den meisten Fällen für neue Unternehmen auf den lokalen Märkten kaum Alternativen zur anzeigenfinanzierten Zeitung gebe. Das Wettbewerbsrecht dürfe eine solche Konkurrenz „nicht im Keim ersticken“.

Im Parallelverfahren um die Rechtmäßigkeit der „Zeitung zum Sonntag“ ging es nach der Insolvenz des Freiburger Unternehmens nur noch darum zu klären, ob die Klage, mit der sich der Springer-Verlag gegen den unentgeltlichen Vertrieb der ausschließlich anzeigenfinanzierten Sonntagszeitung gewehrt hatte, damals begründet war. Dies wurde vom BGH in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen erneut verneint (Aktenzeichen: I ZR 120/00). Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) nannte die Karlsruher Entscheidungen „unverständlich und nicht nachvollziehbar“. Seiner Ansicht nach sei das Verschenken von redaktioneller Leistung sittenwidrig, weil dadurch der Bestand bestehender Zeitungen bedroht werde.

 

Ü Siehe auch folgende Artikel:

                 1 Gratis-Zeitungen werden nicht verboten (16.03.2001)

                 1 Kölner Zeitungskrieg: kein Gratisblatt-Stopp (15.05.2001)

                 1 Gratisblätter in den Startlöchern (16.05.2001)

                 1 Gratisblätter starben im Kölner Zeitungskrieg (12.07.2001)