Die
Verlagsgruppe Holtzbrinck hat das Online-Studentennetz StudiVZ komplett
übernommen. Dazu stockte das Unternehmen seinen Anteil für mehr als fünfzig
Millionen Euro von 15 auf hundert Prozent auf. Von der Übernahme des erst vor
einem Jahr gestarteten Internet-Netzwerks erhofft sich der Verlag Gewinne im
stark wachsenden Web-2.0-Geschäft.
Vorbild für StudiVZ ist das US-Studentenportal Facebook, bei dem junge Internet-Nutzer
ihre persönliche Online-Visitenkarte in Form von Fotos, Lebenslauf,
Kontaktdaten etc. veröffentlichen können (4 siehe
Artikel Web 2.0
verspricht neue Märkte). Das amerikanische Konzept wurde im Oktober 2005
von den drei Studenten Ehssan Dariani, Dennis Bemmann und Michael Brehm in
Berlin kopiert. Inzwischen hat StudiVZ nach eigenen Angaben mehr als eine
Million Nutzer und meldet täglich etwa 5000 neue Registrierungen. Auch in
Frankreich, Spanien, Italien und Polen hat StudiVZ Ableger gegründet.
Die Erfolgsgeschichte von
StudiVZ klingt wie die vieler Unternehmen aus der Ära der New Economy: Das
Startkapital von 5000 Euro stellten Lukasz Gadowski und Matthias Spieß vom
Netzdienst Spreadshirt zur Verfügung.
Später investierten die Brüder Alexander, Marc und Oliver Samwer, die mit dem
Verkauf ihres Jamba-Klingeltongeschäftes Millionen-Erlöse erzielt hatten, und
der Holtzbrinck-Venture-Fonds insgesamt 2,5 Millionen Euro Risikokapital in die
Kontaktbörse. Schließlich sicherte sich Holtzbrinck 15 Prozent der
Gesellschafteranteile, die nun offiziell mit Wirkung zum 2. Januar 2007 auf
hundert aufgestockt und Holtzbrinck Networks (u.a. Beteiligungen an buecher.de, parship.de,
meinestadt.de), übertragen wurden.
Facebook verbuchte im
vergangenen Jahr bereits etwa fünfzig Millionen Dollar Umsatz. StudiVZ machte bislang
kaum Umsätze, stattdessen Verluste, soll aber in diesem Jahr eine „schwarze
Null“ erwirtschaften. Die Registrierung für die Nutzer bleibt kostenfrei.
Erlöse sollen allein aus der Werbung fließen, deren Vermarktung voraussichtlich
das Holtzbrinck-Tochterunternehmen GWP übernehmen wird. StudiVZ beschäftigt
zurzeit etwa fünfzig Mitarbeiter.
Bei dem Bieter-Wettbewerb, an
dem sich auch Facebook und der Springer-Verlag
beteiligt haben sollen, wurde StudiVZ nach Angaben der Financial Times Deutschland mit 85 Millionen Euro
bewertet. Über den genauen Kaufpreis wurden keine Angaben gemacht. Dennoch kann
der Millionen-Betrag allenfalls durch die Hoffnung auf eine ökonomisch goldene
Web-2.0-Zukunft gedeutet werden. In den USA übernahm Murdochs News Corporation
2005 für 580 Millionen Dollar die Kontaktbörse MySpace,
Google zahlte im vergangenen Jahr mehr als 1,6 Milliarde Dollar für das
Video-Portal YouTube. In Deutschland
brachte der Börsengang von OpenBC (heißt
inzwischen Xing) knapp 75 Millionen Euro ein.
Ein Grund für den Web-2.0-Boom
ist die Tatsache, dass die etablierten Medien Nutzer-Reichweiten an das
Internet verlieren. Deshalb versucht etwa die Verlagsgruppe Holtzbrinck (Der
Tagespiegel, Handelsblatt, Die Zeit) drohende Ausfälle im Printgeschäft durch
Online-Einnahmen zu kompensieren. Holtzbrinck teilte mit, StudiVZ runde das
Online-Angebot des Verlags für Studierende ab, zu dem bereits das
Internet-Angebot e-fellows.net gehört.
Der Vorteil der neuen
Web-Angebote liegt darin, dass Inhalte gratis von Nutzern erstellt werden und
kaum Marketing-Kosten anfallen. In Netzwerken werben Nutzer weitere Nutzer
(„virales Marketing“), so dass sich bei Erfolg rasch ein Schneeball-Effekt
einstellt. Ähnlich wie Weblogs (4 siehe
Artikel Blogs,
PR und Pseudo-Journalismus) setzen Community-Portale wie StudiVZ vor allem
auf „User-generated-Content“. Die Anmeldung („Account“) ist einfach, mit einer
Suchfunktion lassen sich leicht Freunde, Bekannte oder Gleichgesinnte finden,
mit denen sich die Nutzer austauschen können.
StudiVZ ist vom Layout her alles
andere als eine aufwendig gestaltete Website. Vielmehr haben Dariani und Co.
die puristische Architektur von Facebook adaptiert und den Dateiordnern
ironisch den Namen „Fakebooks“ gegeben. Die Poke-Funktion („herumstöbern“) des
Originals wurde in „Gruscheln“ umgetauft, einer Wortmischung aus grüßen und
kuscheln, die sogar beim Deutschen Patentamt als Wortmarke eingetragen wurde.
Alle drei Unternehmensgründer
sollen bei StudiVZ an Bord bleiben. Vor allem Ehssan Dariani hatte im
vergangenen Jahr mehrmals für Schlagzeilen gesorgt. Erst veröffentliche er bei
YouTube ein sexistisches Video, später verfasste er auf einer Internetseite die
Einladung zu seiner Geburtstagsparty im Stil einer Nazi-Bekanntmachung. Kritik
erntete der Netzwerk-Pionier auch nach einem Fall von Online-Massenstalking und
als Datenschützer Sicherheitslücken bei StudiVZ entdeckten. Solche Pannen muss
das renommierte Medienhaus Holtzbrinck nun unterbinden.