Drei Tage lang haben sich in
Genf etwa 15.000 Teilnehmer aus 175 Ländern getroffen, um bei der ersten
UN-Gipfelkonferenz zum Thema Informationsgesellschaft Weichen für die Zukunft
zu stellen. Am Ende stand ein Formelkompromiss für Meinungsfreiheit und
Menschenrechte sowie die Vertagung wichtiger Fragen auf das Jahr 2005.
Vom 10. bis 12. Dezember einigten sich auf Einladung der International Telecommunication Union (ITU) Vertreter von Regierungsorganisationen und Non-Governmental-Organisationen (NGO) beim Weltgipfel über die Informationsgesellschaft auf eine gemeinsame Deklaration. Ein gemeinsamer Aktionsplan soll dazu beitragen, dass auch arme Länder von modernen Kommunikationsmitteln profitieren. Die 13-seitige „Prinzipienerklärung“ sieht vor, dass bis zum Jahr 2015 die Hälfte der Weltbevölkerung über einen Zugang zu Informations- und Kommunikationstechnologien verfügen soll. Darüber hinaus verpflichteten sich die 175 Teilnehmerstaaten per Grundsatzerklärung zu Gesetzen und vorbeugenden Maßnahmen „gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit und damit verbundene Intoleranz, Hass, Gewalt, alle Formen von Kindermissbrauch, Pädophilie, Kinderpornographie und Menschenhandel“.
Ü
Zwischen digitaler Kluft und Solidarität
Es gehe vor allem um das Erreichen einer „digitalen
Solidarität“, heißt es in der Genfer Erklärung. Regierungen, Gesellschaft und
Privatindustrie sollten, so die Forderung, zusammenarbeiten, um die „digitale
Lücke“ zwischen armen und reichen Ländern zu schließen. Alle Teilnehmer
verpflichteten sich, die modernen Informationstechnologien für den Kampf gegen
Armut, Aids und Kindersterblichkeit zu nutzen. Zudem solle die Sicherheit im
Internet sowohl national als auch international gewährleistet werden.
Auf eine explizite Wahrung der Menschenrechte aber konnten sich die Unterzeichner nicht einigen. Auch die Umsetzung und Überwachung der Einhaltung des beschlossenen Regelwerks wurde nicht konkret festgelegt. Immerhin aber bekräftigt die Deklaration das Recht auf Meinungsfreiheit sowie die „Weitergabe von Informationen und Ideen durch jede Art von Medien ohne Beschränkung durch die Staatsgrenzen“, was die staatliche Sperrung von Internet-Inhalten verhindern soll. Noch aber zensiert zum Beispiel das Staatliche China Internet Network Information Center (CNNIC) mit 40.000 Sicherheitspolizisten Webseiten und E-Mails. Um so überraschender ist es, dass China in Genf einem Papier zustimmte, das Regierungen und Parlamente dazu auffordert, „die Entwicklung einer nationalen Gesetzgebung zu fördern, die die Unabhängigkeit und die Vielfalt der Medien garantiert“.
Ü
Ungleiche Verteilung im Internet
Erstaunlich beim Weltinformationsgipfel war die starke Rolle der Entwicklungsländer und der nicht-staatlichen Organisationen, von denen die Mehrzahl der Teilnehmer stammte. Noch stammen schließlich 72 Prozent der Internet-Nutzer weltweit aus entwickelten Ländern, die wiederum nur 14 Prozent der Weltbevölkerung ausmachen. Von den Staaten mit der geringsten Internet-Verbreitung befinden sich allein 15 in Afrika. Im Jahr 2002 hatten etwa zehn Prozent der Weltbevölkerung Zugang zu Online-Medien. Während der Anteil in Australien/Ozeanien bei 33, in Amerika bei 24 und in Europa bei 21 Prozent lag, kann in Afrika nur 1 Prozent der Bevölkerung das Internet nutzen. Um so wichtiger scheint es, dass Hard- und Software nicht zu unüberwindbaren Kostenbarriere werden. Auf einen von Brasilien und anderen Staaten vorgeschlagenen Ausgleichsfonds aber konnten sich die Unterzeichner des Genfer Aktionsplans ebenso wenig einigen wie auf die Unterstützung preiswerter Open-Source-Software.
Zum Auftakt des Informationsgipfels hatte
UN-Generalsekretär Kofi Annan die Defizite auf dem Weg zur weltweiten
Informationsgesellschaft klar angesprochen: Außer der technologischen Kluft
zwischen dem industrialisierten Norden und dem armen Süden kritisierte er auch,
dass die Qualität der Online-Inhalte auseinander klaffen. Ein großer Teil der
Web-Angebote hätte kaum Bezug zu essentiellen Bedürfnissen der Menschen. Weil
außerdem fast siebzig Prozent aller Internetseiten in englischer Sprache
veröffentlicht würden, spielten lokale Inhalte und Meinungen kaum eine Rolle.
Diese ökonomische und soziale Spaltung („digital divide“) wurde beim Gipfel
auch von zahlreichen NGOs immer wieder kritisiert. Die Abschlusserklärung von
Genf versprach immerhin, „aus der digitalen Kluft eine digitale Chance zu
machen“.
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Alternative Gipfelerklärung
Die Chancen für eine Gleichberechtigung aller
Staaten und sozialen Gruppen bei der Online-Entwicklung stehen schlecht. Liegen
die Einkommen in den Industrienationen vierzig mal so hoch wie bei den
Entwicklungsländern, beträgt der Faktor bei den Forschungsausgaben sogar 200.
Eine geografische Ausgewogenheit bei der Entwicklung neuer Online-Standards
scheint deshalb ebenso wenig wahrscheinlich wie ein Ausgleich zwischen
kommerziellen und sozialen Interessen. Um einen für alle Menschen offenen
Zugang zu den neuen Online-Medien zu realisieren, forderten Bürger- und
Menschenrechtsbewegungen in Genf die Schaffung einer eigenen Kommission. In
einer alternativen Gipfelerklärung schlugen sie eine Einrichtung vor, von der
die nationalen und internationalen Regulierungsmechanismen der Informations-
und Kommunikationstechnologien ständig auf ihre Vereinbarkeit mit den
Menschenrechten überprüft werden sollen.
Wichtige Themen, die bereits im Vorfeld des Genfer
Gipfels für Dissens gesorgt hatten, wurden am Ende ausgeklammert und sollen
erst 2005 auf einer weitern Konferenz in Tunis geregelt werden. Dazu gehört
auch die innere Organisation des Internet, die seit 1998 der Internet Corporation for Assigned Names and
Numbers (ICANN) unterliegt. Die amerikanische Einrichtung überwacht als
gemeinnützige Organisation (nach kalifornischem Recht) die Vergabe von
Netzadressen und gestaltet als zentrale Verwaltungsinstanz wichtige
Entwicklungspotenziale des Internet. Die vom ehemaligen US-Präsidenten Bill
Clinton ins Leben gerufene Institution sichert bis heute amerikanische
Interessen bei der Durchsetzung neuer Informationstechniken. Deshalb wünschen
sich nicht nur Entwicklungsländer eine Übertragung der ICANN-Aufgaben auf die
ITU, die 1947 der UNO angegliedert wurde und auch für die Verwaltung von
Funkfrequenzen zuständig ist. Außerdem soll es in Tunesien in
zwei Jahren um die Finanzierung eines Solidaritätsfonds gehen, den Afrika
gefordert hatte, um neue Kommunikationsmittel wie Mobiltelefone und das
Internet auf dem Kontinent stärker verbreiten zu können.
Ü Aufschlussreich
für den Diskussionsverlauf sind die so genannten „Non-Papers“ der Vorbereitungskonferenzen.