Streit um Online-Offensive von ARD & ZDF
Privatwirtschaftliche Konkurrenz befürchtet
Wettbewerbsverzerrung
Von Dr. Matthias Kurp, 17.06.2001
ARD und ZDF rüsten
sich für die Online-Zukunft. Das ZDF vereinbarte eine Kooperation mit T-Online,
die ARD will bis 2004 zusätzliche 350 Millionen Mark fürs WWW locker machen.
WDR-Intendant
Fritz Pleitgen hat es sich gerade erst wieder wissenschaftlich bestätigen
lassen: Das Hamburger Hans-Bredow-Institut
für Medienforschung und das Institut für Rundfunkökonomie an der Kölner
Universität belegten im Auftrag der ARD,
dass kommerzielle Online-Angebote keine ausreichende Vielfalt im Internet
gewährleisten. Ausgestattet mit diesem Befund haben sich die zehn
ARD-Rundfunkanstalten Ende Mai an die Kommission zur Ermittlung des
Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (KEF) gewandt, sie
solle in ihrem im kommenden Jahr anstehenden Zwischenbericht einen zusätzlichen
Bedarf von 350 Millionen Mark für die Online-Aktivitäten der laufenden
Gebührenperiode bis 2004 berücksichtigen. Eigentlich waren für die
Gebührenperiode nur 88 Millionen Mark für die Online-Aktivitäten der ARD
genehmigt worden, also 22 Millionen Mark jährlich. Aber bereits im vergangenen
Jahr, so geht aus einem Schreiben an die Länderchefs hervor, soll die ARD etwa
37,5 Millionen Mark in ihren Internet-Auftritt investiert haben.
Mitten hinein in die DotCom-Krise attackierte bereits
im März bei der CeBIT auch das ZDF
die kommerziellen Content-Provider im Internet und kündigte eine spektakuläre
Kooperation an. Gemeinsam mit T-Online
soll im August das werbefreie Internet-Portal heute.t-online.de etabliert
werden. Außerdem erhält T-Online Zugriff auf ZDF-Content, was, so munkeln
argwöhnische Insider, dem ZDF jährlich bis zu 6,5 Millionen Mark bescheren
werde. Darüber hinaus soll es zu einer technischen Kooperation zwischen dem ZDF
und Europas größten Internet-Provider kommen. T-Online hat einen ähnlichen
Kontrakt auch mit dem Axel
Springer Verlag geschlossen, um so an dringend benötigte Inhalte zu
gelangen. Kritiker warnen schon jetzt, das ZDF könne zukünftig nicht mehr
unabhängig über die Telekom, T-Online und andere verbundene Unternehmen
berichten. Die bisherige Zusammenarbeit des ZDF mit NBC und Microsoft (MSNBC) muss der Sender
aufgeben, weil das ZDF nach dem geänderten Rundfunkstaatsvertrag im Internet
weder Werbung noch Sponsoring im Internet betreiben darf.
Angesichts
der Internet-Offensive von ARD und ZDF ist die privat-kommerzielle Konkurrenz
inzwischen energisch auf die Barrikaden gegangen. Der Verband Privater Rundfunk und
Telekommunikation (VPRT) protestiert, ARD und ZDF würden ihr vom 5.
Rundfunkänderungsstaatsvertrag vorgegebenes Terrain verlassen. Im §4(3) der
aktuellen Staatsverträge für ARD und ZDF, die Teil des Rundfunkstaatsvertrages
sind, heißt es nämlich jeweils, öffentlich-rechtliche Anbieter dürften für das
Internet nur Mediendienste mit „vorwiegend programmbezogenem Inhalt“ anbieten.
Der Bundesverband Deutscher
Zeitungsverleger (BDZV) präsentierte im vergangenen März prompt ein
Gutachten des Leipziger Rechtswissenschaftlers Prof. Dr. Degenhart, um zu
untermauern, dass Angebote von ARD und ZDF ohne engen Programmbezug
rechtswidrig seien. Im Übrigen müssten auch alle Formen von Werbung, Sponsoring
und E-Commerce aus den öffentlich-rechtlichten Internet-Angeboten verbannt
werden.
Hieß es im 4. Rundfunkänderungsstaatsvertrag noch,
die WWW-Angebote von ARD und ZDF dürften allein „programmbezogen“ sein, so gilt
seit 1. Januar 2001 mit dem 5. Rundfunkänderungsstaatsvertrag die Formulierung
„vorwiegend programmbezogen“, so dass Exegeten und Juristen nun trefflich
darüber streiten, was an öffentlich-rechtlichen Inhalten im Netz erlaubt ist.
Auch wenn ARD-Intendant Fritz Pleitgen sein Vorhaben, das Internet neben
Hörfunk und Fernsehen zur „dritten Säule“ zu machen, erst mal nicht weiter
öffentlich kundtut, bereitet er doch eine deutliche Expansion vor. Im April
beschlossen die ARD-Intendanten zunächst einmal, die Überarbeitung ihres
Portals ARD.de als zentrale
Einstiegsplattform. Von dort aus sollen demnächst auch Sport- und
Wirtschaftsportale ausgebaut werden. Hinzu kommen für den Nachrichten-Sektor Tagesschau.de und für
ARD-Programminformationen Das
Erste online. Zusätzlich pflegen alle ARD-Rundfunkanstalten noch eigene
Auftritte. Live-Streams aus den einzelnen Hörfunkprogrammen bietet seit dem 25.
Mai das neue ARD
RadioNet. Für das Fernsehen wünscht sich Pleitgen einen ähnlichen
Streaming-Service, der allerdings (zum Selbstkostenpreis) gebührenpflichtig
sein soll.
Der
VPRT-Vorsitzende Jürgen Doetz befürchtet von der öffentlich-rechtlichen
Internet-Offensive erhebliche Wettbewerbsverzerrungen. Der
Grundversorgungsauftrag beschränke sich allein auf den Rundfunk, argumentiert
der VPRT. Im 6. Rundfunkänderungsstaatsvertrag müssten die erlaubten
Internet-Aktivitäten von ARD und ZDF deshalb genauer aufgelistet und vor allem
strenger begrenzt werden. Dass demnächst bei den heute-Nachrichten mit dem
Hinweis auf heute.t-online.de auf einen kommerziellen Provider aufmerksam
gemacht wird, hält der VPRT ebenso für einen öffentlich-rechtlichen Sündenfall
wie die Tatsache, dass Alfred Biolek über die ARD-Site zur Koch-Show
„Alfredissimo“ kommerziell seine Koch-Utensilien vermarkten kann. Genauer noch
will sich der VPRT mit dem Thema bei seiner Vorstandssitzung am 13. Juli
befassen.
Trotz solcher Abgrenzungsprobleme neigt die Mehrheit
der politischen Entscheidungsträger zurzeit offenbar dazu, ARD und ZDF im Netz
der Netze nicht an die Kette zu legen. Eine erste Beratung zu diesem Thema
haben die Länderchefs für den 21. Juni in Berlin geplant. Geschickt haben es
Pleitgen und die anderen Intendanten verstanden, auf Defizite im WWW
hinzuweisen. So kann von der Anbietervielzahl im Internet beispielsweise nicht
automatisch auf eine Angebotsvielfalt bei politisch relevanten Informationen
geschlossen werden. In den USA entfällt die Hälfte der Online-Nutzung heute
schon auf nur vier Anbieter. Konzentrationseffekte sind also nicht zu übersehen.
Jede dritte Online-Minute entfiel im vergangenen März auf AOL. Außerdem
kontrollierten in den USA 2000 nur noch 14 Unternehmen 60 Prozent aller
Online-Minuten, während es im Jahr zuvor noch 110 Firmen waren.
Ähnliche Trends gelten auch in Deutschland. Bereits
heute dominieren bei den Content-Anbietern ausgerechnet die Unternehmen das
Internet-Angebot, die auch den TV-Markt oligopolistisch unter sich aufgeteilt
haben: Im ersten Quartal dieses Jahres erreichte nach einer Forsa-Umfrage RTL
World 6,7 Millionen Nutzer und damit 29,4 Prozent aller Internet-User. Auf
dem zweiten Platz lag ProSieben Sat.1 Network mit 5,7 Millionen Nutzern.
Der freie Markt scheint also publizistische Vielfalt nicht ausreichend
garantieren zu können. Zu einem ähnlichen Schluss kam auch die ARD-Studie von
Hans-Bredow-Institut und Institut für Rundfunkökonomie. Deshalb müssten ARD und
ZDF zu „Lotsen“ und „Mittlern von verlässlicher Information“ werden, fordert
Fritz Pleitgen. Noch aber spielen die öffentlich-rechtlichen Angebote bei den
Online-Marktanteilen kaum eine Rolle. Zum Vergleich: Für ZDF.de ermittelte
Forsa im ersten Quartal nur 2,3 Millionen Nutzer (10,2 Prozent), die ARD ist
unter den zwölf beliebtesten Angeboten gar nicht zu finden.