Bilanz 2000 zwischen Boom und Baisse
Mehr Medienkonzentration und weniger TV-Informationen
Von Dr. Matthias Kurp, 30.12.2000
2000 war das Jahr
von Big Brother, Boom und Baisse. Nie wurde mehr im deutschen Fernsehen
verdient, nie mehr geworben. Aber es gab auch Flops und Bedenkliches:
Börsenstar EM.TV stürzte ab und politische Informationen verkümmerten zur
TV-Restgröße.
Trotz
Fußball-Europameisterschaft und Olympia: Der Sieger des Jahres 2000 war mit
einem kräftigen Quoten-Feuerwerk „Big Brother“. Das Real-Life-TV-Format gilt
als der Gewinner des Jahres. Endemols Voyeur-Guckkasten bescherte RTL 2 im Vergleich zum Vorjahr
den größten Quotengewinn im deutschen Fernsehen. Während RTL 2 seinen
Marktanteil um 0,8 Prozentpunkte auf 4,8 Prozent steigern konnte, mussten fast
alle anderen Anbieter von TV-Programmen geringfügige Verluste hinnehmen.
Quotensieger ARD konnte mit
14,3 Prozent trotz der Ausstrahlungsrechte an EM und Olympischen Spielen im Vergleich
zum Vorjahr nur 0,1 Prozentpunkte zulegen. Ebenfalls 14,3 Marktanteil erreichte
RTL. Rang 3 erzielte das ZDF (13,3%) vor den Dritten
ARD-Programmen (zusammen 12,6%) und SAT.1, dessen Marktanteil von 10,8% auf 10,2% zurückging. Kabel 1 erzielte 5,5%, Super RTL und Vox erreichten je 2,8%, tm3 verbuchte 1,0%.
Ü
Auf dem Weg zum TV-Duopol
Eine Studie der Dortmunder Universität ergab
unlängst, dass ein Vollprogramm mindestens 4 Prozent Marktanteil brauche, um
profitabel zu sein. Ohne ihre Einbettung in Senderfamilien wären Super
RTL, Vox, tm3 & Co. also nicht mehr lange überlebensfähig. Im Rahmen von
Senderfamilien aber dienen sie effektvoll zur Verlängerung der Wertschöpfungskette
(Synergien bei Senderechten, Werbezeiten-Vermarktung etc.). Vier Jahre nach
Inkrafttreten des Zuschauermarktanteilmodells im Rundfunkstaatsvertrag herrscht
auf dem deutschen TV-Markt bei den privat-kommerziellen Anbietern faktisch ein
Duopol. Die am 2. Oktober ins Handelsregister eingetragene ProSiebenSat.1
Media AG hat keine Scheu, in einer Presseerklärung zu vermelden, ProSieben,
SAT.1, Kabel 1 und N24 zusammen erreichten bei der Zielgruppe der 14- bis
49-jährigen Zuschauer bereits einen Marktanteil von 30,8 Prozent. Damit hat
Kirchs Senderfamilie auch ohne Einberechnung von DSF auf einem wichtigen
Zuschauer-Teilmarkt die bedenkliche Grenze von 30 Prozent bereits
überschritten. Die im Frühjahr durch die Fusion von CLT-UFA und Pearson
entstandene RTL Group (RTL, RTL 2, Vox, Super RTL) ist zwar noch ein
wenig weiter von der 30%-Marke entfernt, will ihr Reich aber durch einen neuen
Homeshopping-Kanal und ein Nachrichtenprogramm im nächsten Jahr arrondieren.
Ü
Sport und Show ganz oben in der Publikumsgunst
Die größten Zuschauer-Magneten waren auch 2000 wieder
Sport und Show. Ganz oben auf der Hitliste der meistgesehenen Sendungen steht
das EM-Finale (ARD, 18,33 Mio. Zuschauer), gefolgt vom EM-Spiel Deutschland
gegen England (ARD, 17,43 Mio.) und der ZDF-Show „Wetten dass?“ (16,91 Mio.).
Auf Platz 9 liegt mit „Wer wird Millionär?“ (RTL, 13,38 Mio.) eine der – außer „Big
Brother“ – wenigen Programminnovationen dieses Jahres. Meistgesehener Spielfilm
war „Titanic“ (10,59 Mio.), bei dem RTL seinen Werbekunden Weihnachten für
einen 30-Sekunden-Spot mehr als 300.000 Mark berechnete. Kein Wunder, dass die
Werbewirtschaft im vergangenen Jahr 4 Prozent Wachstum verzeichnen konnte und
das Werbevolumen 64 Mrd. Mark ausmachte. Zu diesem Boom trugen vor allem
Multimedia-Unternehmen der New Economy bei, aber auch der Zeitschriftenmarkt,
auf dem allein 300 neue Objekte platziert wurden und teilweise – wie Burdas „Vivi@n“
– schon wieder verschwanden.
Wie in der New Economy gilt auch auf dem TV-Markt:
Grell, bunt und schnell muss alles sein, was Erfolg versprechen soll. In beiden
Bereichen aber waren 2000 einige Akteure zu grell, zu bunt und zu schnell.
Internet- und TV-Firmen verloren ihren blitzartig aufgebauten Börsenwert,
TV-Formate wie Millionen-Shows und Daily Talks büßten an Strahlkraft ein. Gegen
EM.TV-Darling Thomas Haffa ermittelt inzwischen die Staatsanwaltschaft.
TV-Moderatoren wie Sabrina Staubitz, Birte Karalus oder gar Hans Meiser dürfen
oder mögen nicht mehr total banal das Alltägliche zum Außergewöhnlichen hochstilisieren.
Michael Schanze musste seine Lotterieshow „Traumstart“ aufgeben, Jürgen von der
Lippe („Geld oder Liebe“) und Ulla Kock am Brink („Lottoshow“) haben ihren
Ausstieg bereits fürs nächste Jahr angekündigt.
Ü
Für politische Informationen im „Spaß-TV“ wenig Raum
Und noch ein Trend 2000: Jenseits des Spaß-TV bleibt
für kompliziertere Inhalte kaum noch Platz. Nachdem im Gefolge der
Wiedervereinigung politische Themen in den 90er Jahren auch im Fernsehen eine
Renaissance erlebten, sind sie im vergangenen Jahr bei den kommerziellen
Anbietern fast nicht mehr messbar gewesen: So ging der Anteil politischer
Berichterstattung bei RTL2 seit 1998 von 0,6 Prozent auf 0,1 Prozent zurück.
Auch RTL wird dem eigenen Anspruch einer „Informationsoffensive“ kaum noch
gerecht. Schließlich reduzierte Europas erfolgreichster Werbeträger den
Politik-Anteil im Programm von 4,8 Prozent (1998) auf 2,8 Prozent (2000). Bei
ARD und ZDF machen Informationssendungen zwar noch 17 bis 19 Prozent des
Programms aus und erreichen Magazinsendungen sogar bis zu 13,7% Marktanteil.
Dennoch aber haben die Magazine einen schweren Stand. „Monitor“ musste bei der
ARD trotz durchschnittlichen 3,6 Mio. Zuschauern im vergangenen Jahr immer
wieder Fußballübertragungen Platz machen. Das ZDF stellte mit „Kennzeichen D“
und „Frontal“ sogar gleich zwei wichtige politische Formate ein.
Ach ja, und dann war da noch Ende 2000 das politische
Gezerre um den neuen Rundfunkstaatsvertrag. Die Rundfunkgebühren für ARD und ZDF
steigen nun endgültig um 3,33 Mark auf 31,58 pro Monat. Werbung im Teletext
aber ist bei ARD (hatte ohnehin bislang verzichtet) und ZDF (muss Werbung
einstellen) künftig verboten. Häufiger als bisher hingegen dürfen ab 2001
lokale oder regionale TV-Programmanbieter Werbung ausstrahlen.