ÜberallFernsehen oder „Hier-und-da-TV“?

Im Norden und Westen neue Verbreitung von terrestrischem Digital-TV

 

 

Von Dr. Matthias Kurp, 24.05.2004

 
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Nach Berlin und Brandenburg starteten am 24. Mai auch Norddeutschland und Nordrhein-Westfalen in das Zeitalter des so genannten „ÜberallFernsehens“. Bis zum Jahresende sollen etwa 24 Millionen Haushalte mit einer herkömmlichen TV-Antenne plus Decoder digitale Fernsehprogramme empfangen können.

Mit dem UeberallFernsehen soll ein neues TV-Zeitalter beginnen. Dabei handelt es sich um digital ausgestrahlte TV-Programme, die mit Hilfe einer herkömmlichen Fernsehantenne plus Decoder empfangen werden können. Außer in Berlin und Brandenburg, wo die Technik bereits Ende 2002 eingeführt wurde, können nun auch Zuschauer in den Regionen Köln/Bonn, Hannover/Braunschweig sowie Bremen/Unterweser bis zu 24 digitale TV-Programme terrestrisch empfangen. In weiteren Teilen Norddeutschlands (Hamburg, Lübeck, Kiel) sowie in Düsseldorf und im Ruhrgebiet müssen sich potenzielle Kunden noch bis zum 8. November 2004 gedulden. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern (z.B. Niederlande) wird DVB-T in Deutschland unverschlüsselt und ohne zusätzliche Gebühren ausgestrahlt. Jeweils die Hälfte der angebotenen Programme sind öffentlich-rechtlich.

DVB-T Senderübersicht

 
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Was lange als Vision von zukunftsgläubigen Technikfreaks galt, ist in Berlin bereits Wirklichkeit. Da sausten bereits während der Internationalen Funkausstellung im vergangenen August Autos durch die Hauptstadt, in deren Inneren staunende Messebesucher fasziniert auf TV-Flachbildschirme mit gestochen scharfen Live-Bildern starrten. Da zauberte eine Tuner-Einsteckkarte digitale Fernsehprogramme auf Laptops oder tragbare PDA-Kleinstrechner (Personal Digital Assistant). Da gab es einen nur 1 Kilogramm schweren LCD-Mini-Empfänger zu bewundern, der auf seinem 6,8-Zoll-Bildschirm überall im Stadtgebiet beste Empfangsqualität bewies. In Japan lässt sich digitales Fernsehen sogar bereits auf Mobilfunk-Endgeräten (Vodafone) empfangen.

Ü DVB-T verspricht brillante Qualität

In Berlin und Brandenburg macht die neue Technik ihrem Namen „DVB-T: Das ÜberallFernsehen“ alle Ehre. Voraussetzung sind weder Kabelanschluss noch Satellitenschüssel. Es reicht ein geeignetes Empfangsgerät samt Antenne. Möglich macht das die terrestrische (erdgebundene) Übertragung von digitalen TV-Programmen, die auf einer europaweit gültigen Norm namens DVB-T (Digital Video Broadcasting Terrestrial) basiert. Während analoge Fernsehsignale, die mit Haus- oder Zimmerantennen empfangen werden, oft nur undeutlich und schon gar nicht mobil (z.B. im Auto) zu empfangen sind, bieten digital ausgestrahlte Bilder und Töne nahezu brillante Qualität.

Nachdem DVB-T in Ländern wie Großbritannien oder Spanien bereits seit einiger Zeit forciert wird, soll der neue Standard nun auch Deutschland erobern. Berlin und Brandenburg machten den Anfang. Dort werden – begleitet von einer gewaltigen PR-Kampagne – seit November 2002 alle terrestrischen Programme digital ausgestrahlt. Wer sie weiterhin empfangen will, muss seinen Fernseher mit einem geeigneten Decoder (ab 90 €) nachrüsten und über eine passende Antenne verfügen. Ein paar Monate lang wurden analoge und digitale Angebote noch parallel ausgestrahlt (Simulcast-Betrieb). Seit dem 1. August 2003 aber ist es damit vorbei. Deshalb mussten die etwa 160.000 Haushalte, die früher in Berlin und Brandenburg Fernsehprogramme nicht über Kabel oder Satellit, sondern via Antenne empfingen, ihre Heimkinos technisch aufrüsten.

Ü Neue Schwung für Terrestrik?

Inzwischen wurden in Berlin mehr als 220.000 DVB-T-Decoder verkauft. Wenn dennoch weder Kabelnetzbetreiber noch Satelliten-Branche über weniger Kunden klagen, liegt das daran, dass viele Haushalte ihre Zweit- oder Drittgeräte für DVB-T nachgerüstet haben. Die Vorteile des neuen Systems liegen auf der Hand: Es ist portabel, braucht also keinen besonderen Anschluss, kostet im Gegensatz zum TV-Kabelnetz keine Gebühren und setzt lediglich den einmaligen Kauf eines Decoders voraus. Beim Kauf dieser so genannten Set-Top-Boxen werden auch die Kunden der Köln/Bonner Region oder aus Norddeutschland die Wahl zwischen mehr als drei Dutzend unterschiedlichen Geräten von etwa zwanzig Herstellern haben. Luxus-Versionen verfügen inzwischen sogar über integrierte Festplatten, auf die Programme aufgezeichnet werden können. Da es sich bei DVB-T um eine gesamteuropäische Norm handelt, musste allerdings auf einige Funktionen aus der Welt des deutschen analogen Fernsehens noch eine Weile verzichtet werden. Inzwischen aber bieten einige der DVB-T-Boxen auch Video-Programmiersystem (VPS), den gewohnten Teletext oder Zweikanalton. Wer allerdings Programme per Videorecorder aufzeichnen will, darf nicht vergessen, dass die Altgeräte über keine digitalen Empfangstechnik verfügen und deshalb ebenfalls per Decoder aufgerüstet werden müssen.

Das neue ÜberallFernsehen könnte der lange als veraltet geltenden Terrestrik zu einer Renaissance verhelfen. In den alten Bundesländern schauen nur noch etwa sieben Prozent der Haushalte analoges Fernsehen mit Hilfe einer Antenne, in den neuen Bundesländern liegt der Anteil noch darunter. Hauptgrund für die mangelnde Attraktivität ist außer der vielerorts geringen Bildqualität vor allem die Tatsache, dass über die Haus- oder Zimmerantennen nur eine Handvoll analoger Programme empfangbar sind. Dank geschickter Datenreduzierung lassen sich beim digitalen terrestrischen Fernsehen nun ohne wahrnehmbare Qualitätseinbußen statt eines analogen jeweils vier digitale Angebote ausstrahlen. In Berlin und Brandenburg werden zurzeit statt der zuletzt analog übertragenen zwölf Kanäle 27 digitale Programme angeboten, davon dreizehn privat finanziert und 14 öffentlich-rechtlich.

Ü DVB-T zunächst nur in Ballungsräumen

Bis 2010 soll das digitale terrestrische Fernsehen in Deutschland seinen analogen Vorläufer komplett ablösen. Innerhalb des kommenden Jahres startet DVB-T voraussichtlich auch in allen anderen Bundesländern, und zwar zunächst in den Ballungsräumen München, Nürnberg, Stuttgart, Frankfurt, Mainz/Wiesbaden, Ludwigshafen, Erfurt, Weimar, Rostock/Schwerin sowie Halle/Leipzig. Überall werden nach dem Start analoge und digitale Programme noch eine Weile lang parallel ausgestrahlt, bevor schließlich die analoge Abschaltung alle Haushalte zum Wechsel auf DVB-T oder auf Kabel bzw. Satellit zwingt.

Unterstützt wird die Umstellung auf den neuen Fernsehstandard jährlich mit mehr als 27 Millionen Euro aus den Gebühreinnahmen von ARD und ZDF, aber auch durch Fördergelder der Landesmedienanstalten. So erhalten etwa die privatwirtschaftlichen Programmanbieter in Berlin und Brandenburg jeweils 60.000 bis 70.000 Euro pro Jahr. Um die Zwangsumstellung für Haushalte mit geringen Einkommen abzufedern, übernahm die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) außerdem bei Sozialhilfeempfängern bis zu 75 Prozent der Kosten für die Umrüstung. Auch die Bremer Sozialbehörden entschieden, dass nicht nur ein Fernsehgerät, sondern auch der für den Empfang nötige Decoder zu der Ausstattung gehört, die über Sozialhilfe finanziert werden soll. In allen anderen Regionen aber wird es für die DVB-T-Empfänger voraussichtlich keine Zuschüsse geben. Die Landesmedienanstalten beschränken sich darauf, RTL, Sat.1 & Co. bei der Umrüstung der Sendetechnik finanziell zu unterstützen.

Ü „Hier-und-da-TV“ statt ÜberallFernsehen?

In Nordrhein-Westfalen fördert die LfM die Digitalisierung von Hörfunk und Fernsehen bis 2008 jährlich mit Beträgen zwischen 1,6 und 2,3 Millionen Euro, wobei die großen Senderfamilien ProSiebenSat1. Media AG und RTL Group jeweils eine halbe Million Euro erhalten. Die gesamten Kosten für die Umrüstung und den Betrieb der nordrhein-westfälischen Sendeanlagen kalkulierte die Landesmedienanstalt auf 5,9 Millionen Euro jährlich bzw. 20 bis 25 Millionen Euro in den ersten vier Jahren. Allerdings sollen die Verbreitungskosten von DVB-T deutlich unter dem Niveau des alten analogen Standards liegen, so dass sich aus Sicht der LfM auch Einsparungen in Höhe von fast 3 Millionen Euro ergeben. Dennoch: Die Kabelnetzbetreiber halten die hohen öffentlichen DVB-T-Fördersummen für unerlaubte öffentliche Beihilfen und haben deshalb bei der EU-Wettbewerbskommission bereits eine Beschwerde eingereicht.

Im Rahmen des Starts von DVB-T in Nordrhein-Westfalen – live im WDR Fernsehen zu sehen – berichtete Joachim Bareiß, Leiter des Projektbüros DVB-T NRW, bei der digitalen terrestrischen Ausstrahlung könnte die Sendeleistung im Vergleich zur analogen Vergangenheit „um den Faktor fünf“ reduziert werden. Trotz geringerer Betriebskosten und erheblicher Zuschüsse aber wird ein flächendeckendes ÜberallFernsehen in Deutschland vermutlich Wunschtraum bleiben und daran scheitern, dass sich die Umrüstung der Sendeanlagen in dünn besiedelten Gebieten wirtschaftlich kaum lohnt. WDR-Intendant Fritz Pleitgen forderte beim DVB-T-Start in Köln um so eindringlicher eine flächendeckende Versorgung: „Schließlich sind wir zur gleichmäßigen Ausstrahlung verpflichtet“, gab er zu bedenken. Sollten sich Pleitgen und seine Intendanten-Kollegen nicht durchsetzen können, würde aus dem ÜberallFernsehen nur ein „Hier-und-da-TV“...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


1 siehe auch Artikel ÜberallFernsehen auf dem Vormarsch

 

4 Mehr zu den einzelnen DVB-T-Verbreitungsgebieten:

·          Für Norddeutschland:
      Norddeutschland.ÜberallFernsehen.de

·          Für Nordrhein-Westfalen:
      NRW.ÜberallFernsehen.de

·          Für Berlin-Brandenburg:
      Berlin-Brandenburg.ÜberallFernsehen.de

·          Deutsche TV-Plattform:
      Deutsche TV Plattform.ÜberallFernsehen.de