d-Box muss neuen Pay-TV-Standards weichen
EU-Kommission kritisiert Kirchs proprietäres
System
Von Dr. Matthias Kurp, 06.04.2001
Die Tage der d-box
scheinen gezählt. Das EU-Parlament erteilte Kirchs Verschlüsselungssystem eine
klare Absage. Sollte die geplante EU-Richtlinie gelten, muss Kirch sich etwas
einfallen lassen...
Kritiker
halten Kirchs Decoder-Technologie schon seit langem weder für zeitgemäß noch für
mit dem freien Markt vereinbar. Bei der d-box in ihrer aktuell vertriebenen
Form handelt es sich um ein so genanntes proprietäres System. Das heißt: Die Kirch-Gruppe allein verfügt
über die Verschlüsselungstechnik, die notwendig ist, damit beim digitalen
Pay-TV nur solche Kunden zu den einzelnen Programmen Zugang erhalten, die dafür
jeweils auch bezahlt haben. Der Vorteil des proprietären Systems liegt für
Kirch vor allem darin, dass niemand in Deutschland digitales Fernsehen
vermarkten kann, ohne mit Kirch zusammenzuarbeiten. Die Kirch-Gruppe dominiert
dabei den kompletten Geschäftsprozess von der Programmzusammenstellung bis zur
Kundenabrechnung.
Die Technik der d-box wurde von der
Kirch-Tochterfirma BetaResearch
entwickelt und ursprünglich ausschließlich von Nokia produziert. Doch die d-box hatte von Anfang an jede
Menge Tücken: Soft- und Hardware waren schnell überaltert und nicht sehr
leistungsfähig. Es fehlte ein Steckplatz für Zugangskarten anderer Anbieter,
und ein Rückkanal vom Nutzer zum Anbieter kann nicht über das TV-Kabel, sondern
könnte höchstens über eine Telefonverbindung gewährleistet werden. Die
inzwischen auf dem Markt befindliche zweite Generation der d-box (d-box
2) ist im Vergleich zum Vorgängermodell in ihrer Funktionalität zwar ein
wenig erweitert, dafür aber störungsanfälliger. So dauert der Kanalwechsel
meist mehrere Sekunden, ist der Standby-Betrieb sehr energieintensiv und die
Software so instabil, dass das System häufig zusammenbricht. Zuweilen „friert“
das Bild auch einfach ein. Die durch Datenreduktion verursachte niedrige
Datentransferrate von drei Megabit pro Sekunde statt der üblichen 7 Megabit pro
Sekunde bedeutet außerdem einen visuellen Qualitätsverlust, der vor allem bei
Video-Aufzeichnungen deutlich wird.
Als
negativ empfinden viele Kunden darüber hinaus, dass die Jugendschutzsperre
selbst in kinderlosen Haushalten nicht generell abstellbar ist und so zwingend
vor jedem betroffenen FSK-16-Film eine vierstellige Geheimzahl eingegeben
werden muss. Da die d-box weder VPS- noch Timer-Funktionen bietet, ist auch
eine Programmierung zur Aufzeichnung von Filmen bei eigener Abwesenheit
praktisch unmöglich. Die Stiftung
Warentest rügte, die Bedienfreundlichkeit der d-box sei, „gelinde gesagt,
sehr gewöhnungsbedürftig“. Eine Studie des TÜV kam im September 2000 zu dem Schluss, die Smart-Cards,
durch die Pay-TV-Kunden die Verschlüsselung der Programme aufheben können,
ließen sich leicht manipulieren, so dass etwa 2 Prozent der Premiere-Abonnenten
im Pay-per-View-Bereich „auf manipulativem Wege zusätzliche Leistungen
erschleichen“ könnten.
Die Software-Standards für die Verschlüsselung
(„Conditional Access“, CA) und die Menüführung („Application Programming
Interface“, API) wurden von Kirch nie oder nur teilweise offen gelegt, was dazu
führt, dass fremde Anwendungssoftware (Electronic Programm Guide, EPG) anderer
Anbieter nur bedingt funktioniert. So beklagt sich zum Beispiel die ARD darüber, dass Features wie
ihre „Lesezeichen-Funktion“, mit der bestimmte Sendungen vom Nutzer
gekennzeichnet werden können, von der d-box nicht unterstützt werden.
Zu den Gegnern der d-box gehören aber nicht nur
Programmanbieter, sondern auch Gerätehersteller oder Kabelnetzbetreiber. Viele
von ihnen haben sich inzwischen der Initiative Free-Universe-Network (FUN) angeschlossen. Die
Arbeitsgemeinschaft fordert eine offene, diskriminierungsfreie und
multi-mediataugliche Plattform für digitales Fernsehen. Dazu gehört vor allem –
anders als bei der d-box – eine neutrale Plattform sowie eine einheitliche
Programmierschnittstelle (API) der Decoder. Gemeinsam ist es gelungen, auf der
Basis des Betriebssystems Open.TV einen Universaldecoder zu entwickeln, der
1998 Marktreife erlangte und inzwischen vom Kabelnetzbetreiber PrimaCom eingesetzt wird.
Dabei kommt ein Gerät der Firma galaxis
technology aus Lübeck zum Einsatz.
Sollte sich im Europäischen
Parlament die geplante EU-Richtlinie zur Etablierung von mehr Wettbewerb im
Pay-TV-Bereich durchsetzen, müsste Kirch seine Standards endlich offen legen.
Sein hauseigenes Verschlüsselungssystem Betacrypt dürfte dann keine anderen
Codiersysteme mehr aussperren. Alle Decoder bzw. Fernsehgeräte mit integriertem
Decoder (Empfangsgeräte), die nach dem 1. Januar 2002 verkauft werden, müssen
dann über eine gemeinsame Schnittstelle verfügen, die es dem Nutzer gestattet,
das Gerät mit verschiedenen austauschbaren Zugangsberechtigungsmodulen
(CA-Modulen) zu betreiben. Das Unternehmen KirchPayTV
hatte schon im vergangenen Jahr damit begonnen, Betacrypt-Module auch in
anderen Digital-Receivern zuzulassen (Sagem, Philips). Premiere World lässt
zurzeit darüber hinaus mögliche Decoder-Alternativen für künftige
Pay-TV-Applikationen testen, so Premiere-Sprecherin Katrin Gogl gegenüber Set-Top-Box.de. Dabei
wird offenbar mit mehreren Herstellern verhandelt, auch mit FUN und Open.TV. Während
der Fachmesse ANGA Cable stellten BetaResearch und galaxis Anfang April in Köln
außerdem erstmals gemeinsam einen Decoder-Prototypen vor, bei dem Kirchs
proprietäre Betacrypt-Verschlüsselung mit Hilfe eines Chips gewährleistet wird,
der in alle Decoder integrierbar sein soll.